Rheinische Post Mettmann

„Kitas werden bei Nachfrage bis 19 Uhr öffnen“

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Der NRW-Familienmi­nister über Kinderbetr­euung, Flüchtling­seinrichtu­ngen und das Ende der Jamaika-Verhandlun­gen.

Herr Stamp, wie lautet Ihre erste Bilanz nach einem halben Jahr im Amt? JOACHIM STAMP Wir haben erste Erfolge erreicht. Durch das Kita-Rettungspa­ket von einer halben Milliarde Euro haben wir dafür gesorgt, dass kein Kindergart­en schließen muss. Jetzt arbeiten wir an einer grundlegen­den Reform des Kinderbild­ungsgesetz­es. Das ist wie auch die Neuordnung der Flüchtling­sund Einwanderu­ngspolitik eine große Herausford­erung. Das geht nicht in wenigen Monaten. Aber das habe ich auch nicht erwartet. Ich freue mich aber, wie die Mitarbeite­r in meinem Ministeriu­m mitziehen. An Kenntnisse­n dürfte es beim Kinderbild­ungsgesetz (Kibiz) im Ministeriu­m nicht mangeln: Die Vorgängerr­egierung hat bereits lange daran gearbeitet. Wann werden Sie das neue Kita-Gesetz vorstellen? STAMP Nur eine Grundidee ist aus der rot-grünen Zeit vorhanden, wir müssen bei der Kibiz-Reform ganz neu aufsetzen. Zunächst einmal sind die Kita-Träger über das 500Million­en-Euro-Rettungspa­ket für die nächsten zwei Jahre erleichter­t, wir haben die Schließung vieler Einrichtun­gen verhindert. Und nun müssen wir eine dauerhaft tragfähige Finanzieru­ng hinbekomme­n. Wie viel Geld brauchen Sie dafür? STAMP Das hängt davon ab, inwieweit sich die Kommunen beteiligen und wie viel vom Bund kommt. Wann also kommt das neue Gesetz? STAMP Ob wir 2019/20 schon so weit sind oder noch ein weiteres Jahr brauchen, werden wir sehen. Konkreter können Sie nicht werden? STAMP Klar ist, dass es mehr Mittel geben wird. Aber es geht ja nicht nur um die Sicherstel­lung auskömmlic­her Mittel, sondern auch um eine bessere Qualität der Kitas und um flexiblere Öffnungsze­iten. Warum dauert das so lange? STAMP Das Problem ist, dass die Vorgängerr­egierung sich nicht getraut hat, mit den Kommunen und den freien Trägern sowie den Kirchen in die Diskussion zu gehen. Wir wollen einen Konsens mit den Trägern und Kommunen finden und sind jetzt in Vorsondier­ungen. Aber die Zeit drängt doch: Es gibt noch immer zu wenige Erzieher, zu wenige Plätze für Unter-Dreijährig­e und immer noch zu unflexible Öffnungsze­iten…

Diese Woche, die man wunderbar ungenau die Zeit „zwischen den Jahren“nennt, hat eine eigentümli­che Atmosphäre. Ob man nun arbeiten muss oder nicht, ob der Alltag nach den Feiertagen schon wieder eingesetzt hat oder nicht, diese Tage dienen noch dem Rückzug, dem Rückblick, dem Verschnauf­en.

Das ist ein schöner Zustand: Das neue Jahr stellt noch keine Anforderun­gen, man kann es sich noch ein Weilchen vom Leib halten und genießen, dass alles noch ein wenig in der langsamere­n Gangart der Feiertage geschieht. Ein paar Weihnachts­plätzchen sind noch übrig.

Doch natürlich sind da auch schon Gedanken an das Neue, das da anbricht und das Erwartunge­n weckt. Für manche Menschen stehen Veränderun­gen an, sie malen sich aus, wie sie in das Neue hineinpass­en, sich bewähren werden. Solche gedanklich­en Vorwegnahm­en helfen, sich auf das Neue einzulasse­n, wenn es auch in Wirklichke­it dann meist ganz anders kommt. Schwierige­r ist es mit Erwartunge­n, die das Miteinande­r betreffen. Manche Menschen sind etwa getrieben davon, bestätigt oder geliebt STAMP Wir wollen die Betreuung insgesamt verbessern und – das ist mein politische­r Schwerpunk­t – dabei einen stärkeren Akzent auf Sprachförd­erung legen. Dabei stellen uns nicht nur die Kinder aus Flüchtling­sfamilien vor besondere Herausford­erungen. Wir stellen fest, dass es auch beim Alltagsspr­achgebrauc­h hiesiger Kinder Defizite gibt, das kann Folge von Reizüberfl­utungen und dem unreflekti­erten Umgang mit digitalen Medien sein. Wir müssen daher die Sprachförd­erung auf ein anderes Niveau bekommen. Mit welchen Mitteln wollen Sie das hinbekomme­n? STAMP Wir werden die Feststellu­ng des Sprachstan­des und die Sprachförd­erung verbindlic­her machen und ein Instrument entwickeln, um das Sprachnive­au für jedes KitaKind in NRW zu prüfen, bevor es in die Grundschul­e kommt. Sicher ist, dass wir nicht den Delfin-Test wieder einführen, für den seinerzeit Grundschul­lehrer eigens in die Kitas kamen. Einige Einrichtun­gen machen das schon gut, aber eben nicht alle, und deshalb wollen wir flächendec­kend für Verbindlic­hkeit sorgen. Wie lange sollen Kitas künftig geöffnet sein? STAMP Die Öffnungsze­iten müssen gerade in den Randzeiten flexibler werden. Allerdings ist der Bedarf regional sehr unterschie­dlich, im ländlichen Bereich ist er viel geringer. Dort, wo die Nachfrage besteht, wird es die entspreche­nden Angebote geben, etwa Öffnungsze­iten bis 18 oder 19 Uhr. Wie ist die Situation bei den Plätzen für Unter-Dreijährig­e? STAMP Wir freuen uns darüber, dass mehr Kinder geboren werden, aber leider liefern uns die statistisc­hen Ämter noch keine Datenbasis, die uns eine genaue Prognose erlauben würde. Wir werden aber den Platzausba­u für den wachsenden Bedarf forcieren. Dabei wird auch die Kindertage­spflege eine wichtige Rolle spielen. Die Tagesmutte­r kann eine sinnvolle Alternativ­e sein für jene, die für ihre kleinen Kinder eine familienna­he Betreuungs­form wünschen oder auch nicht so lange Betreuungs­zeiten benötigen. Hier bietet die Großtagesp­flege weitere Möglichkei­ten: Mehrere Tagesmütte­r tun sich zusammen und schaffen damit Plätze. Was können Sie dagegen tun, dass es so viele säumige Väter gibt, die ihren zu werden. Sie sprechen solche Wünsche nie aus, erwarten aber, dass andere sich verhalten, wie sie es sich erträumen, und sind bitter enttäuscht, wenn das nicht geschieht.

In Erwartunge­n steckt das Wort warten, das wiederum Bedeutunge­n wieausharr­en,aberauchsp­ähen,sich hüten und wahrnehmen in sich trägt. Auf etwas warten, das nicht kommt, ist eine schmerzhaf­te Erfahrung. Vor allem, wenn man während des Aus- Unterhalts­verpflicht­ungen nicht nachkommen? STAMP Da sind die Unterschie­de zwischen den einzelnen Kommunen sehr groß, je nach Sozialstru­ktur. Im Ruhrgebiet sind die Probleme am größten. Mittelfris­tig wird sich das Land zentral um das Ein- harrens schon ahnt, dass die Geduld vergebens sein wird, dass nicht eintritt, was man sich wünscht.

Dieses Sehnen, das so leicht zu Enttäuschu­ngen führt, lässt sich nur abstellen, wenn man sein Denken aus all dem Nebel des Unausgespr­ochenen herausholt. Sobald man Wünsche formuliert, können andere reagieren. Und man selbst ist die ungute Aufgabelos,dasVerhalt­enderander­enzu belauern und zu deuten, dies und jenes hineinzule­gen und so an Missverstä­ndnissen zu bauen.

Wahrnehmen, was ist, statt in die Ferne zu spähen, die immer undeutlich ist. Das ist weit entspannte­r, selbst wenn man Unliebsame­s zur Kenntnis nehmen muss.

Auch das neue Jahr kann man also entlasten, indem man es nicht mit Erwartunge­n überhäuft, sondern sich auf das konzentrie­rt, was man sicher weiß. Und den Rest auf sich zukommen lässt, so wie es kommt. Es tritt dann unverzerrt vor einen, nüchtern, realistisc­h. Und lässt genug Raum für Neugier und Vorfreude. Gutes Neues Jahr! Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de treiben der säumigen Gelder kümmern, nicht mehr wie derzeit rund 180 Kommunen. Damit werden wir dann erfolgreic­her sein. Darüber hinausgehe­nde Sanktionen sind nicht geplant, etwa Stadionver­bote oder Führersche­inentzug? STAMP Mit wesensfrem­den Strafen muss man vorsichtig sein. Wollen Sie in diesem Zusammenha­ng auch über eine Bundesrats­initiative noch einmal das Unterhalts­recht reformiere­n? STAMP Nein, das ist derzeit nicht geplant, steht auch nicht im NRW-Koalitions­vertrag. Sie sind ja auch der Minister für Flüchtling­e und Integratio­n. Wissen Sie eigentlich, wie viele Flüchtling­e sich zurzeit in Nordrhein-Westfalen aufhalten? STAMP Wir haben in dem Punkt von der Vorgängerr­egierung sehr, sehr viel Chaos übernommen und sind dabei, das weiter zu ordnen. Für Neuankömml­inge haben wir jetzt ein neues System mit der Landeserst­aufnahmeei­nrichtung in Bochum. Dort wird demnächst eine systematis­che Registrier­ung in wenigen Stunden stattfinde­n. Diejenigen, die nicht einem Bundesland zugewiesen werden, kommen in Erstaufnah­meeinricht­ungen des Landes, wo das Asylverfah­ren eingeleite­t wird. Perspektiv­isch sollen auch Rechtsbera­tung und Richter vor Ort sein, um die Verfahren zu beschleuni­gen. Zudem richten wir in jedem Regierungs­bezirk eine Zentrale Ausländerb­ehörde ein. Die nächste ist in Münster geplant. Die ZAB haben eine doppelte Aufgabe: Ausländerr­echtlich betreuen sie Flüchtling­e in den Landeseinr­ichtungen. Und sie unterstütz­en die kommunalen Ausländerb­ehörden bei der freiwillig­en Ausreise und bei Abschiebun­gen. Ich werde zudem die Ausländerb­ehörden völlig neu aufstellen. Das wird einer meiner Schwerpunk­te der kommenden Jahre sein. Wie sollen die Kommunen auch ihre Verpflicht­ungen erfüllen, wenn Sie ihnen die Flüchtling­sintegrati­onspauscha­le des Bundes vorenthalt­en? STAMP Wenn der Bund 2019 zusätzlich­e Mittel zur Verfügung stellt, werden wir die Pauschale an die Städte und Gemeinden weitergebe­n. Warum nicht sofort, in der Opposition haben Sie genau das doch immer kritisiert? STAMP Weil Rot-Grün entschiede­n hatte, für die Jahre 2016 und 2017 die Pauschale nicht weiterzuge­ben, und für 2018 war darüber hinaus keinerlei Vorsorge getroffen. Sie hätten doch genau wie für die Kitas auch zusätzlich­es Geld für die Kommunen bereitstel­len können? STAMP Das hätte den Rahmen gesprengt. Die Landesregi­erung setzt 2018 bei der Stärkung der Kommunen einen anderen Schwerpunk­t. Insgesamt sieht sie für die Kommunen allein wegen des Unterhalts­vorschuss-Gesetzes und Gemeindefi­nanzierung­sgesetzes im Haushaltse­ntwurf 2018 vielfältig­e Verbesseru­ngen vor. Auch bei der sozialen Flüchtling­sberatung wird keine Beratungss­telle zu kurz kommen. Können Sie ausschließ­en, dass ein Terrorist wie Anis Amri sich zurzeit in NRW aufhält? STAMP Nein, denn es gibt keine 100prozent­ige Sicherheit. Aber ich kann alles versuchen, Gefährder und Kriminelle schneller und konsequent­er abzuschieb­en, um dies zu verhindern. Ich habe seinerzeit den Rücktritt von NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger gefordert, weil er gesagt hatte, es habe keine Fehler gegeben. Was genau machen Sie jetzt anders? STAMP Wir holen uns zusätzlich­e Leute ins Haus, die die Ausländerb­ehörden unterstütz­en und Gefährder besser identifizi­eren können. Herr Stamp, Sie waren auch an den Jamaika-Verhandlun­gen beteiligt. Seit dem Abbruch der Verhandlun­gen sinken die Umfragewer­te auf mittlerwei­le bis zu acht Prozent – war Christian Lindners Entscheidu­ng richtig? STAMP Das war eine gemeinsame Entscheidu­ng. Was am Ende auf dem Tisch lag, war weit von einer Einigung entfernt. Trendwende­n bei den wichtigste­n Themen wären so nicht möglich gewesen. Wie oft hören Sie den Satz: Lieber 20 Prozent Inhalte umsetzen als gar keine? STAMP Selten. Wie erklären Sie sich dann das Umfragemin­us für die Freien Demokraten? STAMP Die Werte liegen je nach Institut zwischen acht und neun Prozent – nach 10,7 Prozent bei der Wahl. Der Rückgang hält sich also in Grenzen. Und Armin Laschet ist auch nicht erbost darüber, dass Christian Lindner insinuiert hat, der Ministerpr­äsident habe in Berlin gegen die Interessen von NRW verhandelt? STAMP Zwischen Armin Laschet und mir ist alles in Ordnung. KIRSTEN BIALDIGA UND MICHAEL BRÖCKER FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Dem neuen Jahr ohne Erwartunge­n begegnen

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FOTO: ANDREAS BRETZ Joachim Stamp (FDP) ist stellvertr­etender Ministerpr­äsident von NRW und Landesmini­ster für Kinder, Familie, Flüchtling­e und Integratio­n.

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