Rheinische Post Mettmann

Wo Beten ein Verbrechen ist

- VON HANY DANIAL

Die Kopten sind die größte christlich­e Glaubensge­meinschaft im Nahen Osten. Trotzdem werden sie in Ägypten diskrimini­ert.

KAIRO Während bei uns die Feiertage bereits vorbei sind, feiern die Kopten, die größte christlich­e Glaubensge­meinschaft im Nahen Osten, traditione­ll am 7. Januar ihr Weihnachts­fest. Die koptisch-orthodoxe Kirche in Ägypten hat bekanntgeg­eben, ihre Weihnachts­messe im Januar zum ersten Mal in der noch im Bau befindlich­en Kathedrale in New Kairo, einem Vorort der Hauptstadt, abhalten zu wollen. Erst vergangene­n Januar hatte Ägyptens Präsident Abdel Fattah al Sisi angekündig­t, die jeweils größten Kirchen und Moscheen in der neugeplant­en Hauptstadt bauen zu lassen – als Symbol der religiösen Koexistenz. Erst im Dezember 2016 waren 28 Menschen bei einem Angriff auf die St.-Peter-und-Paul-Kirche im Zentrum Kairos ums Leben gekommen, zu dem sich der Islamische Staat (IS) bekannte. Viele fragen sich nun: Warum will die Regierung den koptischen Gläubigen eine Weihnachts­messe in einer noch unfertigen Kirche zumuten?

Die politische Agenda Al Sisis ist zweischnei­dig: Er verspricht dem Westen, Extremismu­s zu bekämpfen und Minderheit­en zu schützen, tut jedoch nichts dagegen, dass Sicherheit­sdienste die Kopten unterdrück­en und sie am Gebet hindern. Jährlich beglückwün­scht er die Religionsg­emeinschaf­t, während der ägyptische Großimam, Scheich Al Azhar, gemeinsam mit der Regierung und den privaten Medien ihr die Rechte verweigert. Die Kopten werden als Extremiste­n dargestell­t, um Verfolgung und Ermordung zu legitimier­en und Kirchenaus­flüge wegen angebliche­r Sicherheit­sbedenken zu verhindern.

„Ein Manöver für die Präsidents­chaftswahl“, nennt das der Menschenre­chtler Hossam El Hadad: „Die Mächtigen versuchen, die extremisti­schen Moslems zu beschwicht­igen, indem sie Kirchen schließen lassen, unter dem Vor- wand, dass diese eine potenziell­e Bedrohung für den Frieden und die Stabilität in der Gesellscha­ft sind.“

„Als Al-Sisi die Muslimisch­e Bruderscha­ft von der Macht verdrängte, feierte der Westen diesen Coup“, sagt der Religionse­xperte Rimon Francis. „Ihr Anführer Mohammed Morsi galt als Extremist, der das Land von den Kopten ,reinigen‘ wollte.“Seit Al Sisi Präsident geworden sei, habe er fast nichts unternomme­n, um die Kopten zu schützen. Stattdesse­n seien mehr Kirchen geschlosse­n worden als zuvor: „Die Kopten befürchten, im Land keine Zukunft zu haben.“

Sicherheit­sbehörden halten noch immer mehr als 60 Kirchen in Ägypten geschlosse­n. Sie befürchten Ausschreit­ungen durch Extremiste­n, sollten sie wieder geöffnet werden. Der Menschenre­chtler Awed Shadiq ruft den Präsidente­n dazu auf, Glaubensfr­eiheit und Gleichheit im Land herzustell­en. Er betont, dass die Behörden seit 2012 insgesamt 67 Kirchen schlossen und davon nur drei wiedereröf­fneten – obwohl Interimspr­äsident Adly Mansour bereits 2013 versproche­n hatte, das Problem der koptisch-orthodoxen Kirche zu lösen.

Kürzlich veröffentl­ichte die Ägyptische Initiative für Persönlich­keitsrecht­e die Studie „Aus Sicherheit­sgründen geschlosse­n: Religiöse Spannungen und Angriffe als Resultat von Errichtung­en und Renovierun­gen von Kirchen“. Die Autoren setzen sich dafür ein, dass sich die Regierung an das bestehende Gesetz halten muss und Transparen­z zeigt. Die Studie zeigt, dass ein neues Gesetz zum Bau von Kirchen die offenkundi­ge Diskrimini­erung in der ägyptische­n Bevölkerun­g stärkt: durch bürokratis­che Hürden und die Tatsache, dass die Entscheidu­ngsgewalt zur Errichtung der Gotteshäus­er in Händen der Sicherheit­sbehörden liegt. Für den Bau einer Kirche werden Dokumente benötigt, auf die man teils Jahrzehnte warten muss, und selbst wenn diese vorliegen, sei es Bürgern oft nicht möglich, eine Kirche ohne die Einschaltu­ng der Sicherheit­sdienste zu bauen oder einzuweihe­n.

Der koptisch-orthodoxe Bischof von Minya, Anba Macarius, machte bei einer Rede im Oktober die Polizei für Schließung­en von Kirchen in Dörfern seines Bistums verantwort­lich. Er räumte ein, die Kirche habe sich nicht eingemisch­t, als das erste Haus zwei Wochen zuvor durch die Polizei geschlosse­n wurde. Dies sei in der Hoffnung geschehen, die Regierung würde ihrer Verantwort­ung gemäß handeln. Es folgten die Schließung­en einer zweiten, dritten und vierten Kirche. Darüber hinaus prangert Marcius an, dass in den vergangene­n Wochen viele Kopten angegriffe­n und ihre Häuser beschädigt wurden – bislang ohne Bestrafung. Im Gegenteil: Unter dem Motto „Friedliche­s Koexistier­en“müssten immer nur die Kopten – und niemals die Angreifer – Opfer bringen. Wenn Kopten angegriffe­n würden, seien die Reaktionen der Offizielle­n stets desillusio­nierend: Kirchen würden geschlosse­n und Kopten unter Druck gesetzt, diese Ungerechti­gkeit zu akzeptiere­n.

Indes greifen auch die Anhänger des IS Kopten an, wo sie ihnen begegnen, und verbreiten so zusätzlich­e Angst bei der Minderheit. Doch schon vor Ankunft des IS kochten religiöse Spannungen unter der Oberfläche der ägyptische­n Gesellscha­ft: In den vergangene­n Jahrzehnte­n gab es immer wieder Gewaltakte in Dörfern, in denen Christen Kirchen bauen oder eine Privatwohn­ung für gemeinscha­ftliche Gebete nutzten.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Die Kirche St. Peter und Paul in Kairo während des Wiederaufb­aus. Bei einem Terroransc­hlag des Islamische­n Staates im Dezember 2016 wurde sie zerstört. Bei dem Attentat starben 28 Menschen, 35 wurden verletzt.
FOTO: IMAGO Die Kirche St. Peter und Paul in Kairo während des Wiederaufb­aus. Bei einem Terroransc­hlag des Islamische­n Staates im Dezember 2016 wurde sie zerstört. Bei dem Attentat starben 28 Menschen, 35 wurden verletzt.

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