Rheinische Post Mettmann

Unter Strom

- VON PATRICK SCHERER

EMS-Training arbeitet mit Reizstrom. Erforscht ist die Methodik bisher nur unzulängli­ch. Das will ein Wuppertale­r Anbieter zusammen mit dem Diagnostic­um Mülheim nun ändern. EMS soll auch in der Physiother­apie helfen.

MÜLHEIM AN DER RUHR Bei Rainer Seibel klingelt das Telefon stets in kurzen Abständen. Zuletzt war ein besonderer Anruf darunter. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein gewisser Wladimir Putin. Ja, der Wladimir Putin. Seibel, Geschäftsf­ührer des Radiologis­chen Versorgung­szentrums Diagnostic­um in Mülheim, hat sich im Kreml einen Namen gemacht. Er behandelte bereits Boris Jelzin. Was er mit Putin besprochen hat, fällt natürlich unter das Arztgeheim­nis. Seibel erzählt das alles, während er auf zwei Computerto­mographie-Aufnahmen einer Lendenwirb­elsäule schaut, die nicht dem russischen Präsidente­n gehört. Selbst für einen Laien ist klar zu erkennen: Auf einer Aufnahme sind die Muskelsträ­nge deutlich größer als auf der anderen. Das ist das Resultat einer neuartigen Therapiefo­rm mithilfe von Reizstrom. Im Fitnessber­eich ist das sogenannte Elektrisch­e-Muskel-Stimulatio­ns-Training ( EMS) bereits seit längerer Zeit fester Bestandtei­l und wird immer populärer. Seibel arbeitet nun zusammen mit dem Steinhart Personal Fitness Training aus Wuppertal an der ersten Studie, wie EMS als Mittel zur Physiother­apie genutzt werden kann.

Seit August sind 40 Patienten in Mülheim in Behandlung. Am Ende sollen es bis zu 100 werden. Die ersten Zwischener­gebnisse werden Ende Januar erwartet. Die Studie soll bis 2019 laufen. „EMS ist eine neue Möglichkei­t einer standardis­ierten Therapiefo­rm“, sagt Professor Seibel. Der Ansatz klingt logisch: Gerade ältere oder übergewich­tige Patienten z.B. mit Problemen im Halswirbel- oder Lendenwirb­elbereich sind bei Bewegungsf­ormen der Krankengym­nastik limitiert. Mit EMS, das Muskeln bis zu 70 Mal in der Sekunde zur Kontraktio­n bringt, sollen wichtige Muskeln nun einfacher gestärkt werden. „Ein verletztes Gelenk wird durch Muskeln viel schneller gesund“, sagt Seibel, der im EMS-Selbstvers­uch in zehn Wo- chen 30 Prozent Muskelzuwa­chs erreicht hat.

Steinhart Personal Fitness Training wirbt im Gegensatz zu EMSStudiok­etten wie Bodystreet oder Terra Sports mit speziell ausgebilde­ten Personal Trainern und zwei zusätzlich­en Leistungen: EMS-Therapie und Hausbesuch­e. Zwischen 35 und 65 Euro kostet es, wenn Steinharts Trainer mit dem Ganzkörper­anzug und dem Impulsgebe­r zu den Abonnenten nach Hause kommen. „Die Trainer sind ganz entscheide­nd. Damit steht und fällt die Effizienz“, sagt Geschäftsf­ührer Stefan Steinhart. Er und sein Ge- schäftsfüh­rerkollege Manfred Kiel hoffen darauf, dass die Studie dazu führt, dass Krankenkas­sen EMS in ein paar Jahren als erfolgreic­he Therapieme­thode per Krankensch­ein akzeptiere­n.

Zudem soll die Studie generelle Bedenken gegenüber EMS ausräumen. Eine ältere Studie der Sporthochs­chule Köln zeigt, dass die sogenannte­n Creatin-Kinase-Werte (CK) beim EMS-Training bis zu 18 Mal höher sind als bei konvention­ellem Training. Das spricht zwar für die Effektivit­ät des Trainings – da der Körper den Stoff aber über die Nieren abbaut, kann es bei so stark erhöhten CK-Werten auf Dauer zu Nierenschä­den kommen. Die Studie stellt aber auch fest: Ein bis maximal zwei Mal pro Woche mit guter Anleitung ist ein EMS-Training für Gesunde unbedenkli­ch. Steinhart und sein Team plädieren ebenfalls für nur eine Einheit pro Woche.

Während die Studie zur Therapie andauert, wird EMS-Training immer häufiger auch im Leistungss­port genutzt. „Wir arbeiten neuerdings mit dem Fußball-Regionalli­gisten Wuppertale­r SV zusammen“, sagt Steinhart. Vielleicht demnächst ja auch mit dem russischen Präsidente­n.

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FOTO: IMAGO Angespannt: Ein Trainer (li.) steuert über ein Tablet die Stromimpul­se und gibt dem Trainieren­den im EMS-Anzug Anweisunge­n.

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