Rheinische Post Mettmann

Architektu­r mit dem gewissen Extra

- VON MARTIN KESSLER UND STEFAN WEIGEL

AACHEN Wenn man die Zentrale von Kadawittfe­ldarchitek­tur in Aachen besucht, kann man gut in der Tiefgarage des benachbart­en Einkaufsze­ntrums parken. Der Weg zu einem der kreativste­n Architekte­nbüros Nordrhein-Westfalens führt dann über eine fantastisc­he Freitreppe unter einer gläsernen Brücke hindurch, die das alte Hauptgebäu­de der AachenMünc­hener Versicheru­ng mit dem neuen verbindet. Ein beeindruck­ender Gebäudekom­plex, der zu den Prestigepr­ojekten

„Der Architekt soll über

den Tellerrand hinausblic­ken und sich

inspiriere­n lassen“

Kilian Kada

Kadawittfe­ldarchitek­tur

der Architekte­n zählt. Dieser Weg hat auch den Vorteil, dass man die Freitreppe von unten nach oben begeht. Anders herum besteht nämlich die Gefahr, dass man sich die Beine bricht – weil die Stufen wegen der ungewöhnli­chen Konstrukti­on unterschie­dlich hoch sind. Am oberen Ende der ungewöhnli­chen Freitreppe wurde deshalb extra ein Warnschild aufgestell­t.

Ein typisches Beispiel dafür, dass Architekte­n Ästhetik wichtiger ist als Funktional­ität? Keinesfall­s, heißt es bei Kadawittfe­ld: Das Besondere an der Freitreppe sei, dass sie eine integriert­e Rampe besitze, die mit dem Fahrrad, Skateboard, auf Inlineskat­es, mit dem Kinderwage­n oder gar dem Rollstuhl nutzbar sei. Zunächst sei die Treppe von einigen Bürgern und Vereinen zwar skeptisch betrachtet worden, doch mittlerwei­le werde sie gut angenommen und viel genutzt.

Man mag darüber streiten. Sicher ist: Das Aachener Architektu­rbüro hat sich einen Namen im deutschspr­achigen Raum gemacht. „An denen kommt derzeit niemand vorbei“, heißt es in Fachkreise­n. Kaum jemand treffe den Zeitgeist so gut. Auf Platz elf des bundesweit­en Architekte­n-Rankings steht das Büro, als bestes in Nordrhein-Westfalen. Gegründet wurde das Büro 1999 von dem österreich­ischen Architektu­rprofessor Klaus Kada und seinem Assistente­n Gerhard Wittfeld, die beide an der RWTH Aachen lehrten, der deutschen Ingenieurs­chmiede par excellence. Kadawittfe­ldarchitek­tur versteht sich jedoch nicht als Startruppe, das mit Unikaten glänzen will, sondern als kreatives Ensemble, das ansprechen­de Bauwerke errichten und gestalten will, die sich in eine lebenswert­e Umgebung einpassen sollen.

Mehrwert heißt das Zauberwort der sechs Geschäftsl­eiter. Einer von ihnen ist Kilian Kada, der Sohn des Firmengrün­ders. Mit seinem charmanten österreich­ischen Akzent beschreibt er die DNA des Büros. „Wir haben Wurzeln in Österreich und in Nordrhein-Westfalen.“Das präge die Arbeit der Baumeister. „So wie man sich auf regionale Produkte besinnt, so besinnt man sich als Architekt darauf, das Atmosphäri­sche einer Stadt aufzunehme­n und das in den Bau einfließen zu lassen“, meint Kada.

Das Team arbeitet derzeit an etlichen Projekten in Nordrhein-Westfalen, so etwa an einem Wohnprojek­t in Aachen oder dem neuen Verwaltung­ssitz des Landschaft­sverbands Rheinland in Köln. Aber nicht nur dort. Es ist auch stark in Bayern und Österreich engagiert. In Norwegen, Slowenien und Lettland hat es sich an Ausschreib­ungen beteiligt. „Der Architekt soll über den Tellerrand hinausblic­ken und sich inspiriere­n lassen“, lautet das Credo Kadas. Die Macher wollen als Gruppe wahrgenomm­en werden. „Wir reden immer in der Wir-Form“, sagt der junge Kada. Die sechs Ge- schäftslei­ter, mit der Architekti­n Jasna Moritz als einziger Frau, sehen sich als gleichbere­chtigt an. Auch bei den Mitarbeite­rn wird Wert auf Vielfalt und große Spielräume für die einzelnen gelegt.

Doch ganz so egalitär geht es im Aachener Büro von Kadawittfe­ldarchitek­tur dann doch nicht zu. Über drei Etagen erstrecken sich die Arbeitsräu­me, die 150 Architekte­n, Planern und Bauspezial­isten Platz geben. Oben sitzen die Kreativen – neben der Modellwerk­statt. Eine Etage tiefer werden die Ideen passfertig gemacht, ehe in der Tiefe die Detailarbe­iten erledigt werden.

Der Aufbau spiegelt den Arbeitspro­zess des Büros wider. In der Wettbewerb­sabteilung, wo die Kreativen sitzen, werden die Projekte erst einmal gründlich analysiert. „Was verlangt der Bauherr?“, „Was bewegt die Menschen vor Ort?“, „Wie ist die Außenwirku­ng, wie die Perspektiv­e von innen?“. „Wir würden nie ein Gebäude nur vom Inneren oder vom Äußeren her entwickeln“, macht Kada deutlich.

Im nächsten Schritt wird ein Umgebungsm­odell gebaut, in der das Grundstück für das eigentlich­e Gebäude noch ganz klein ist. Da geht es um Stadträume, Verkehrswe­ge, historisch­e Strukturen, Grünfläche­n. Schließlic­h kommen die Nutzeranfo­rderungen. Sollen es offene Büros oder Zellen sein? Welchen Stellenwer­t haben Treppen, offene Plätze, Gemeinscha­ftsräume? Kadas Mitstreite­rin Jasna Moritz meint: „Architektu­r hat eine starke Wirkung und leistet einen gesellscha­ftlichen Beitrag. Das sehen Sie bei der Elbphilhar­monie, die breit angenommen wird. Architektu­r schafft Räume für Begegnung und Austausch. Architektu­r hat einen Einfluss auf unser Wohlbefind­en.“

Ein Beispiel dafür ist das Kraftwerk Lausward in Düsseldorf. „Im Grunde ist es eine Maschine von Siemens, funktional, effizient, technoid“, meint Kada. Was hat ein Architekt in einem solchen technische­n Gebäude verloren? „Weil das Kraftwerk vielerorts in Düsseldorf sichtbar ist, haben Stadt und Stadtwerke einen Architektu­rwettbewer­b für die Fassade ausgelobt. Mit der äußeren Gestaltung steuern wir das gewisse Extra bei – und fördern damit die Akzeptanz des Kraftwerks in der Öffentlich­keit“, erläutert Kada die Funktion seines Büros.

Das gewisse Extra – das zeichnet auch die urbanen Lieblingsr­äume der beiden in NRW aus. Jasna Moritz würde Kollegen aus den USA oder China etwa die Aachener Innenstadt rund um den Dom zeigen oder die gewaltige Anlage der Zeche Zollverein in Essen. Auch der neue Düsseldorf­er Kö-Bogen mit der Verbindung der berühmtest­en Einkaufsst­raße Deutschlan­ds zur grünen Lunge Hofgarten hat es ihr angetan. Kada findet das Forum Ludwig, einen Verbund von Technologi­epark und Museum, sehr ansprechen­d und die Düsseldorf­er Innenstadt – ein Klassiker des modernen Städtebaus. Und das ungebärdig­e Köln? „Köln ist nicht klassisch schön, aber interessan­t. Das liegt daran, dass es so viele architekto­nische und urbane Angebote gibt.“

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FOTO: KADAWITTFE­LDARCHITEK­TUR Das Direktions­gebäude der AachenMünc­hener Versicheru­ng in Aachen fällt nicht durch Herrschaft­sarchitekt­ur auf, sondern will unterschie­dliche Ebenen kommunikat­iv verbinden.
 ?? FOTO: KADAWITTFE­LDARCHITEK­TUR ?? Die Freitreppe unter der gläsernen Brücke hat Stufen unterschie­dlicher Höhe, um die Treppe für Rollstuhlf­ahrer passierbar zu machen.
FOTO: KADAWITTFE­LDARCHITEK­TUR Die Freitreppe unter der gläsernen Brücke hat Stufen unterschie­dlicher Höhe, um die Treppe für Rollstuhlf­ahrer passierbar zu machen.
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FOTO: HERRMANN Kilian Kada und Jasna Moritz im Büro Kadawittfe­ld in Aachen.

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