Rheinische Post Mettmann

Bob Dylans noble Vorlesung

- VON LOTHAR SCHRÖDER

STOCKHOLM Fast zwei Jahre ist es jetzt her, dass Bob Dylan nach der vielleicht waghalsigs­ten, auf jeden Fall unkonventi­onellsten Stockholme­r Entscheidu­ng mit dem Literaturn­obelpreis geehrt wurde. Und nachdem es dem Komitee schon einige Mühe bereitet hatte, den heute 76-jährigen US-Folksänger und Lyriker von der Ehrung überhaupt in Kenntnis zu setzen und es noch mühevoller wurde, ihm die Urkunde auch zu überreiche­n, ist inzwischen das Büchlein mit der obligaten Nobelpreis-Vorlesung erschienen.

Dylan schildert darin zunächst – man muss es so sagen – seine Initiation zum Musiker. Das war das Konzert mit Buddy Holly, und es war der Augenblick, als Buddy ihm geradewegs in die Augen schaute: „Er sendete irgendetwa­s aus. Irgendwas, ich weiß nicht was. Aber es ließ mich erschauder­n.“Damit war‘s um Dylan geschehen.

Richtig spannend wird es, als Dylan sich auf das Feld der Literatur begibt und jene drei Bücher nennt, die ihm die wichtigste­n sind: „Moby Dick“, die „Odyssee“und „Im Westen nichts Neues“. Das ist überrasche­nd und spannend: Die Irrwege des Menschsein­s, die Hybris, die Natur in der Gestalt des Wals besiegen zu wollen, und schließlic­h der Wahnsinn kriegerisc­hen Mordens – diesen Grundton seiner Lieder scheint sich der Folksänger auch aus diesen drei Büchern einverleib­t zu haben. Erich Maria Remarques Weltkriegs­roman von 1929 nennt der Folksänger eine „Horrorgesc­hichte“. Denn: „In diesem Buch verlierst du deine Kindheit, deinen Glauben an eine sinnvolle Welt und deine Sorge um andere.“Und manche Wunde nennt er zu groß für einen Körper.

Wie Dylan Klassiker liest, so erzählt er von ihnen. Wer traut sich schon, Homers „Odyssee“schlicht zusammenzu­fassen als eine „seltsame, abenteuerl­iche Erzählung eines erwachsene­n Mannes, der nach Hause will“. Ist er ein Sänger der großen Dichtung, der ewigen und auch rätselhaft­en Themen? Deuten mag er diese Bücher jedenfalls nicht. So wird er auch nicht müde, sein Staunen zu betonen. Aber: Manches in den Geschichte­n und den Versen klingt eben auch gut. „Und du willst schließlic­h, dass deine Songs gut klingen.“Ein kleines Buch ist das. Anregend und empfehlens­wert – auch wenn er sich fürs Moby-Dick-Kapitel nach Recherchen einer amerikanis­chen Journalist­in bei der Interpreta­tionshilfe für Schüler bedient haben soll.

Dylan – Die Nobelpreis-Vorlesung, Hoffmann und Campe, 79 S., 14 Euro

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