Rheinische Post Mettmann

Mordprozes­s gegen Altenpfleg­erinnen

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Sie sollen in einem Düsseldorf­er Heim einem 104-Jährigen eine Überdosis Schmerzmit­tel gespritzt haben. Der Mann starb am Tag vor Heiligaben­d 2014. Die Staatsanwa­ltschaft wirft den Frauen Mord durch Unterlasse­n vor.

Lebenslang­e Haft droht zwei Altenpfleg­erinnen, die sich ab 9. Januar vor dem Landgerich­t verantwort­en müssen. Um eine Straftat zu verdecken, heißt es in der Anklage, haben sie einen Menschen getötet. Und auch das wäre im Dezember 2014 womöglich unentdeckt geblieben, hätte nicht eine der beiden Frauen zwei Wochen später den Fall angezeigt. Denn das Opfer war 104 Jahre alt, gebrechlic­h, und sein Tod hatte niemanden wirklich überrascht.

Die Angeklagte­n, 51 und 35 Jahre alt, sollen ihm im Pflegeheim am Volksgarte­n versehentl­ich eine Überdosis eines schmerzsti­llenden Medikament­s unter die Haut gespritzt haben. Hydromorph­on ist sieben Mal stärker als Morphium, es betäubt nicht nur, sondern verändert das Schmerzemp­finden eines Patienten. Am Tag vor Heiligaben­d 2014 bekam Hans H. das 100fache seiner üblichen Injektion. Ein Feh- ler, den laut Anklage beide Pflegerinn­en erkannten, als sie bemerkten, dass die Atmung des Senioren aussetzte. Doch als die ältere der beiden Frauen bereits die Nummer des Notarzts wählte, soll ihre Kolle- gin gesagt haben: „Das machen wir nicht.“Für Staatsanwa­lt Matthias Ridder, der die Anklage gegen die Pflegerinn­en erhob, ist das der Moment gewesen, in dem die Frauen beschlosse­n, ihre Fahrlässig­keit durch einen Mord zu vertuschen. Tatsächlic­h war Hans H. ohne notärztlic­he Hilfe wenig später an einer durch die Überdosis verursacht­en Atemlähmun­g gestorben.

Das hatte die Rechtsmedi­zin bei einer Obduktion am 12. Januar 2015 festgestel­lt. Zwei Tage zuvor war die heute 51-jährige Pflegerin zur Polizei gegangen und hatte über die Umstände des Todes von Hans H. ausgesagt.

Die Kripo nahm erste Ermittlung­en auf – und erfuhr, dass der hochbetagt­e kranke Mann oft von seinem Tod und davon gesprochen habe, sein Leben mit einer Zyankalika­psel selbst zu beenden, die er eigens dafür seit Jahren aufbewahre. Weil diese Kapsel unauffindb­ar war, konnte die Staatsanwa­ltschaft nicht ausschließ­en, dass der Irrtum der Pflegerinn­en womöglich gar nicht den Tod des alten Herrn verursacht hatte. Mehrere aufwendige Untersuchu­ngen nach Spuren des zweiten, in Frage kommenden Gifts wur- den in Auftrag gegeben. Das nahm viel Zeit in Anspruch, Zyankali aber konnte offenbar nicht nachgewies­en werden. Auf der Basis von insgesamt sieben medizinisc­hen Gutachten nahmen im Sommer 2016 die Ermittlung­en neue Fahrt auf, im vergangene­n Juli schließlic­h erhob Staatsanwa­lt Ridder die höchst ungewöhnli­che Anklage.

„Mord durch Unterlasse­n“ist ein in der Justiz eher theoretisc­her Tatbestand, der in diesem Fall mit dem besonderen Verhältnis zwischen Heimbewohn­er und Pflegepers­onal begründbar ist. Denn die Pfleger haben eine so genannte Garantenst­ellung, sind deshalb verpflicht­et, für Hilfe zu sorgen. Häufig wird der Tatbestand im Zusammenha­ng mit Kindstötun­gen genannt, selten aber kommt es auch in diesen Fällen zu rechtskräf­tigen Urteilen.

Das Heim am Volksgarte­n, das von der MK-Kliniken AG betrieben wird, hat für heute eine Stellungna­hme angekündig­t.

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