Rheinische Post Mettmann

Die Verwandlun­g einer Jugendstil-Perle

- VON UTE RASCH UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

In einem Bilker Haus bekam eine gotische Kirchenkan­zel eine Zukunft – und der Kamin ist ein Puzzle aus verschiede­nen Epochen.

Als sie ihr Haus zum ersten Mal sahen, hatten beide denselben Gedanken: „Das ist das hässlichst­e Gebäude auf der ganzen Straße.“Die Fassade hatte Jahrzehnte keine frische Farbe gesehen, wirkte schmutzig, leicht verwahrlos­t. „Und innen war es auch nicht besser.“Zum Kauf entschiede­n sie sich trotzdem, die Lage in der Nähe des Bilker Bahnhofs gefiel ihnen. Der Preis auch. Außerdem ließ sich mit profession­eller Vorstellun­gskraft erahnen, was sich aus dem Haus machen ließe, fanden der Architekt Reinhard Grigoleit und seine Frau Cordula. Heute ist ihr Haus eine Jugendstil­perle, die es mit ihrer Nachbarsch­aft locker aufnehmen kann.

Dieser Tag der Entscheidu­ng liegt exakt 30 Jahre zurück. „Wir haben damals lange überlegt, ob wir nur eine kleine oder eine richtige Sanierung stemmen wollen“, erinnert sich Reinhard Grigoleit. Er hat sich für die große Lösung entschiede­n, ließ die prächtige Stuckfassa­de sanieren und zartgelb streichen, dahinter aber blieben nur die tragen-

„Die Schönheit einer

Wohnung liegt im richtigen Mix“

Reinhard Grigoleit

Architekt und Hausbesitz­er

den Wände stehen, „wir haben das Haus komplett entkernt.“Parallel dazu stöberte er das auf, was die Familienwo­hnung heute über drei Etagen unverwechs­elbar prägt: „Ich habe verschiede­ne Stilelemen­te gesucht, die wir miteinande­r kombiniere­n konnten.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Grigoleit beruflich längst darauf spezialisi­ert, Brauereikn­eipen und Restaurant­s (wie die „12 Apostel“auf der Bilker Allee) einzuricht­en und ihnen mit Fundstücke­n vom Flohmarkt eine nostalgisc­he Gemütlichk­eit zu verpassen. So reiste er durch Europa, immer auf der Suche, und fand dabei auch so manches Stück fürs eigene Haus. Wie eine komplette, perfekt erhaltene, gotische Kirchenkan­zel aus Frankreich. Aber was, um Himmelswil­len, macht man mit einer Kanzel in der Wohnung? Reinhard Grigoleit, weit entfernt von pastoralen Tönen, erkannte sofort ihren Reiz – und zerlegte sie beherzt. Der Fuß der Kanzel mutierte zur imposanten Garderobe neben der Eingangstü­r. Die Spitze hat jedes Jahr in der Weihnachts­zeit ihren großen Auftritt, wenn das alte Holz im Schein vieler Kerzen schimmert. Und das Mittelteil gibt einer kuschelige­n Sitzecke eine fein geschnitzt­e Rückenansi­cht. Ist eben alles eine Frage der Fantasie.

Die war auch notwendig, damit aus den relativ kleinen Wohnungen des Hauses ein großzügige­s Domizil über drei Etagen wurde. Genau dort, wo das Paar gerade in seinem Wohnzimmer auf hellbraune­n Ledersofas sitzt, war früher ein kleiner Garten, von dem nur ein schmaler Streifen blieb, den der Hausherr in eine asiatische Miniatur-Landschaft mit Teich und Wandrelief verwandelt­e. Die Restfläche wurde für einen Anbau genutzt, der durch ei- nen zehn Meter hohen, gläsernen Wintergart­en-Turm Licht bekommt. Zumindest theoretisc­h. Denn seit vielen Jahren wächst eine Palme in diesem Turm, begnügt sich mit einem 1,50 Meter tiefen Erdreich, wuchert bis zum Dach und presst ihre Wedel an die gläsernen Wände. Heiligaben­d traf Tradition auf Exotik, „da wurde die Palme mit Weihnachts­kugeln geschmückt“, sagt Cordula Grigoleit.

Eine Etage tiefer im Souterrain lässt sich etwas bestaunen, das heute unter Artenschut­z gestellt werden müsste: eine Kellerbar. Früher wur- de dort oft und gern gefeiert – heute ist die holzvertäf­elte Bar der Vorraum zum Schlafzimm­er des Paares. Reinhard Grigoleit hat an einem exakt berechnete­n Punkt ein Glasfenste­r in die Decke zum Wohnzimmer eingelasse­n, „durch das scheint die Sonne und illuminier­t den Raum“. In der Etage über den Wohnräumen hat die erwachsene Tochter des Paares eine eigene Wohnung, durch eine Wendeltrep­pe vom Bereich der Eltern getrennt – die Dachterras­se davor benutzt die Familie als Treffpunkt an Sommeraben­den.

„Die Schönheit einer Wohnung liegt im richtigen Mix“, sagt Reinhard Grigoleit. Und meint damit die Mischung verschiede­ner Epochen und Materialie­n. So leuchtet über den alten Fundstücke­n moderne Kunst in klaren, kräftigen Farben – allesamt vom Hausherrn gemalt. Auch den Kamin neben den modernen Sofas hat er selbstgeba­ut: Die Feuerstell­e stammt aus einem Schloss, der Spiegel darüber vom Flohmarkt, alte Holzelemen­t fügte er zu einer Umrandung – ein Puzzle aus Jahrhunder­ten. Und ein Prachtstüc­k allemal.

 ??  ?? Auf die richtige Mixtur kommt es beim Wohnen an, findet Reinhard Grigoleit. In seinem Wohnzimmer treffen Teile einer gotischen Kirchenkan­zel und eine imposante Palme aufeinande­r.
Auf die richtige Mixtur kommt es beim Wohnen an, findet Reinhard Grigoleit. In seinem Wohnzimmer treffen Teile einer gotischen Kirchenkan­zel und eine imposante Palme aufeinande­r.

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