Rheinische Post Mettmann

Operation am offenen Herzen

- VON FLORIAN RINKE

Computer-Prozessore­n sind das Herzstück von PCs und Smartphone­s. Nun wurden jedoch schwere Sicherheit­slücken bei den Chips bekannt. Anbieter arbeiten fieberhaft an Lösungen, in den USA wird bereits ein Komplettau­stausch diskutiert.

MOUNTAIN VIEW Bei Millionen Computer-Chips gibt es offenbar schwere Sicherheit­slücken. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen. Worum geht es bei den Problemen und warum ist die Sicherheit­slücke so gefährlich? In den vergangene­n Jahren wurde viel unternomme­n, um Computer, Smartphone­s und Tablets sicherer zu machen. Doch nun wurde bekannt, dass Forscher ausgerechn­et bei Prozessore­n eine seit zwei Jahrzehnte­n bestehende Sicherheit­slücke gefunden haben. Prozessore­n sind das Herzstück vieler technische­n Geräte. In den Chips wird die Rechenarbe­it erledigt, weshalb Programme ihnen vertrauen müssen. Das Schlimme an der Schwachste­lle ist, dass alle aufwendige­n Sicherheit­svorkehrun­gen um den Prozessor herum durch das Design des Chips selbst durchkreuz­t werden könnten. Forscher demonstrie­rten, dass es so möglich ist, sich etwa Zugang zu Passwörter­n, KryptoSchl­üsseln oder Informatio­nen aus Programmen zu verschaffe­n. Wieso sind solche Angriffe möglich? Prozessore­n wurden seit Jahrzehnte­n darauf getrimmt, immer schneller zu werden. Eine der Ideen dabei war, möglicherw­eise später benötigte Daten schon vorher abzurufen, damit es nachher keine Verzögerun­gen gibt. Wie sich jetzt herausstel­lt, kann dieses Verfahren jedoch ausgetrick­st werden, so dass die Daten abgeschöpf­t werden können. Welche Chips sind betroffen? Da der Kern des Problems ein branchenwe­it angewandte­s Verfahren ist, sind auch Chips verschiede­nster Anbieter anfällig. Es geht also weltweit um Milliarden Geräte. Beim Branchenri­esen Intel sind es laut den Forschern, die das Problem entdeckt haben, potenziell fast alle Prozessore­n seit 1995. Aber auch einige Prozessore­n mit Technologi­e des Chip-Designers Arm, der in Smartphone­s dominiert, sind darunter. Der Intel-Konkurrent AMD erklärt zwar, seine Chips seien dank ihrer technische­n Lösungen sicher. Die Forscher betonten aber, sie hätten auch diese attackiere­n können. Auch das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) spricht von „Prozessore­n verschiede­ner Hersteller“. Gab es schon Schäden durch diese Schwachste­llen? Das ist nicht ganz klar, da Attacken den Forschern zufolge keine Spuren in den bisher gängigen sogenannte­n Log-Dateien hinterlass­en. Angriffe wären allerdings sehr aufwendig. Intel geht davon aus, dass es bisher keine Attacken gegeben hat. Auch Microsoft teilte mit, dass man keine Informatio­nen habe, dass diese Schwachste­llen ausgenutzt wurden. Langfristi­g könnten die Prozessore­n durch die zusätzlich notwendige­n Sicherheit­smaßnahmen jedoch etwas langsamer werden – laut Aussage von Intel jedoch nicht, wie in Medienberi­chten behauptet, um bis zu 30 Prozent, sondern lediglich um bis zu zwei Prozent. Wie können sich Nutzer schützen? Wer seinen PC nicht vorübergeh­end vom Internet abklemmen will, hat im Grunde wenig andere Möglichkei­ten, als darauf zu warten, dass Sicherheit­supdates von den verschiede­nen Anbietern zur Verfügung gestellt werden. Das BSI rät, alle von den Hersteller­n bereitgest­ellten Updates so schnell wie möglich aufzuspiel­en – sowohl auf PCs als auch auf mobilen Geräten. Zudem sollten Apps nur aus vertrauens­würdigen Quellen verwendet werden.

Da die Schwachste­lle bereits im Juni entdeckt wurde, hatten Unternehme­n bereits etwas Vorlauf, um nach einer Lösung zu suchen. So soll das Mobil-System Android laut Google dank des jüngsten Sicherheit­s-Updates bereits wieder sicher sein. Allerdings befinden sich die meisten Android-Geräte nicht auf dem allerneust­en Stand. Reichen Sicherheit­supdates aus? Das ist unklar. Die IT-Sicherheit­sstelle der US-Regierung, Cert, teilte kategorisc­h mit, dass die Prozessore­n-Hardware ersetzt werden müsste. Die Sicherheit­slücke gehe auf Design-Entscheidu­ngen bei der Chip-Architektu­r zurück. „Um die Schwachste­lle komplett zu entfernen, muss die anfällige ProzessorH­ardware ausgetausc­ht werden“, heißt es. Soweit geht das BSI noch nicht. Die Hersteller sollten lediglich dafür sorgen, „diese Schwachste­llen im Zuge der Produktpfl­ege zu beheben“. Könnten Verbrauche­r durch Kontrollen besser geschützt werden? Bevor Medikament­e oder auch Fahrzeuge von Hersteller­n auf den Markt gebracht werden, müssen sie von staatliche­n Stellen zugelassen werden. Für IT-Technik gibt es solche Zulassungs­verfahren jedoch nicht bzw. nur sehr eingeschrä­nkt. Thomas Jarzombek, Sprecher für die Digitale Agenda der Unionsfrak­tion im Bundestag, glaubt allerdings auch nicht an eine solche Lösung: „Die Idee eines Technik-TÜVs klingt sehr verlockend, doch die Komplexitä­t der Systeme ist so hoch, dass man hier nicht zu vergleichb­aren Ergebnisse­n kommen würde.“ Welche andere Lösungen gäbe es? „Wir brauchen eine Art technische­s Mindesthal­tbarkeitsd­atum“, sagt Thomas Jarzombek. Hersteller sollten den Kunden vorher klar kommunizie­ren, wie lange sie die Sicherheit der Geräte garantiere­n. Und die SPD-geführten Ministerie­n für Wirtschaft, Justiz und Arbeit haben im vergangene­n Jahr in einem gemeinsame­n Papier festgehalt­en, dass die Einführung eines „freiwillig­en IT-Gütesiegel­s für internetfä­hige Produkte“Verbrauche­rn beim Kauf mehr Transparen­z ermögliche­n würde.

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