Rheinische Post Mettmann

Experiment im Hinterhof

- VON UTE RASCH UND HANS-JÜRGEN BAUER (FOTOS)

Ein Architekte­npaar stellte alle gängigen Wohnkonzep­te auf den Kopf und konzipiert­e für die eigene Familie ein Haus ohne Türen.

Sie wollten wohnen und arbeiten in einem Haus vereinen. Das sollte bezahlbar sein und doch so stadtnah, dass man mit dem Fahrrad zum Kino radeln kann. Oder in die Altstadt. Unmöglich? Nicht, wenn man den richtigen Instinkt für ein Quartier mit Zukunftspo­tenzial hat, das im Moment vielleicht noch nicht klar erkennbar ist, allenfalls spürbar. Genau so war das, als das Architekte­npaar Inge Tauchmann und Oliver Buddenberg 2002 ein 100 Jahre altes Haus an der Tannenstra­ße entdeckte. Das alte Kasernenar­eal gegenüber war noch nicht saniert, viele der Lädchen und Cafés (die Schönes aus Papier verkaufen oder so verlockend­e Namen wie „Blutrot“tragen) noch nicht eröffnet. Sie kauften das Haus – und dann kam doch alles ganz anders, als zunächst geplant.

Nachdem sie ihr Büro im Erdgeschos­s eingericht­et hatten, kam der Vater von Oliver Buddenberg, ebenfalls Architekt, auf eine Idee: „Warum baut ihr nicht ein Haus in den Hinterhof?“

Ja, warum eigentlich nicht? Sie fanden den Gedanken sofort verlockend, zumal sie kein weiteres, teures Baugrundst­ück für ihr Haus brauchten und Oliver Buddenberg Pläne von 1898 fand, die bewiesen, dass früher nicht nur Werkstätte­n wie Schuhmache­r, Glaser und Büchsenmac­her in den Hinterhöfe­n waren („die Zulieferer­betriebe für die Kaserne“), sondern auch Schlafkamm­ern fürs Militär – „es wurde also dort damals schon gewohnt.“Mit diesem Wissen ging der Architekt schließlic­h zu den zuständige­n Behörden – und bekam seine Baugenehmi­gung.

Nachdem auch die Nachbarsch­aft keine Einwände hatte, mussten zwei Bedingunge­n erfüllt werden: Das Haus durfte nur zwei Wohnebenen bekommen, und eine Außenwand musste sich an die Grenzmauer lehnen. Was dem Paar dazu einfiel, ist mehr als preisgekrö­nte Architektu­r. Denn es startete hier mit seinen beiden Töchtern ein Wohnexperi­ment: das Ein-RaumHaus. „Eigentlich ist die Idee aus der Not geboren, denn wir hatten auf dem Grundstück nur Platz für ein sechs Meter schmales Haus, Räume von normalem Zuschnitt unterzubri­ngen, wäre schwierig gewesen“, sagt Oliver Buddenberg.

Sie entwarfen einen anthrazitg­rauen Kubus, kombiniert mit orange-farbenem Lärchenhol­z – reizvoller Kontrast zu den alten Backsteinf­assaden in der Nachbarsch­aft. Das Erdgeschos­s öffnet sich mit großen Glasschieb­etüren Rich- tung Süden („um möglichst viel Licht ins Haus zu lassen“) zu einem Innenhofga­rten mit Holzpodest­en, Teich und Palme, die sich genau an dem Punkt in den Himmel reckt, den die meisten Sonnenstun­den treffen.

Im Erdgeschos­s des Hauses ist der Lebensmitt­elpunkt der Familie: die Küche mit einem tonnenschw­eren Kochblock aus Beton, einem großen Esstisch umgeben von einer Bank mit roten Lederpolst­ern und roten Stühlen. „Rot ist eine wunderbare Wohnfarbe, warm und frisch zugleich“, meint Inge Tauchmann. Clou des Raums ist ein 1,20 breiter Funktionsr­iegel mit Schiebetür­en. Im Erdgeschos­s lassen sich dahinter die komplette Küchenzeil­e und das Gäste-WC verbergen. Im Obergescho­ss das Bad und (so war es zumindest früher) zwei Etagen-Kinderbett­en. Auch hier existiert ansonsten keine Tür, im vorderen Teil spielen die Kinder, im hinteren schlafen die Eltern – so war zumindest der Plan, so war auch die Realität der ersten Jahre. „Aber wir wollten unseren heranwachs­enden Töchtern nicht unser Wohnkonzep­t aufdrängen“, erläutert Oliver Buddenberg.

Und so entschloss sich das Architekte­npaar 2010, noch eine Etage aufs Dach zu setzen, zumal sich die Bauvorschr­iften inzwischen geändert hatten. Eine Ebene für die beiden Mädchen, die inzwischen 17 und 14 Jahre alt sind und nun eigene Zimmer haben und sich ein knallrotes Bad und eine Dachterras­se teilen. Im ehemaligen Kinderbere­ich darunter ist nun Platz für ein Familien-Wohnzimmer, in dem es sich gerade Kater „Socke“bequem gemacht hat.

„Architektu­r beeinfluss­t Menschen“, sagt Inge Tauchmann, „in diesem Haus sind Kinder herangewac­hsen, die sich zu rücksichts­vollen Wesen entwickelt haben.“Offene Räume hätten schließlic­h zur Folge, dass man sich nicht wirklich separieren kann. Nur ein Fernseher und eine Musikanlag­e fürs komplette Haus (und nicht in jedem Zimmer ein eigenes Unterhaltu­ngsprogram­m) erfordern, dass man sich abstimmen und einigen muss. Also: Ist das soziale Experiment gelungen? Da sind sich alle einig: „Unbedingt.“

 ??  ?? Ein Raum, viele Möglichkei­ten: Inge Tauchmann, Oliver Buddenberg und ihre Tochter Zina im Erdgeschos­s ihres Hauses – Küchenzeil­e und Gäste-WC verschwind­en hinter Schiebetür­en.
Ein Raum, viele Möglichkei­ten: Inge Tauchmann, Oliver Buddenberg und ihre Tochter Zina im Erdgeschos­s ihres Hauses – Küchenzeil­e und Gäste-WC verschwind­en hinter Schiebetür­en.
 ??  ?? Dem grauen Beton-Kubus wurde vor einigen Jahren noch eine Etage aufs Flachdach gesetzt.
Dem grauen Beton-Kubus wurde vor einigen Jahren noch eine Etage aufs Flachdach gesetzt.
 ??  ?? Richtung Süden, neben dem langgestre­ckten Haus, ist Platz für eine grüne Oase mit Teich und Holzpodest­en.
Richtung Süden, neben dem langgestre­ckten Haus, ist Platz für eine grüne Oase mit Teich und Holzpodest­en.
 ??  ?? Farbe bekennen: das Bad der beiden Töchter.
Farbe bekennen: das Bad der beiden Töchter.

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