Rheinische Post Mettmann

Cannabis aus der Apotheke: Nachfrage übertrifft Angebot

- VON LAURA IHME

Cannabis darf seit März 2017 als Medikament in der Apotheke abgegeben werden. Die Krankenkas­sen haben bereits mehr als 13.000 Anträge auf Kostenüber­nahme erhalten. Inzwischen gibt es Versorgung­sengpässe.

BERLIN Immer mehr Menschen erhalten Cannabis auf Rezept und stellen bei ihrer Krankenkas­se einen Antrag auf Kostenüber­nahme. Das zeigt eine Umfrage unserer Redaktion bei den größten gesetzlich­en Krankenkas­sen Techniker (TK), Barmer und AOK-Bundesverb­and. Die in Deutschlan­d illegale Droge darf seit März 2017 auf Rezept in Apotheken ausgehändi­gt werden. Sie wird unter anderem als Schmerzmit­tel eingesetzt – als Tropfen, Spray oder in Form von Blüten.

Mehr als 13.000 Anträge gingen der Umfrage zufolge in den vergangene­n zehn Monaten bei den Kassen ein. Das ist deutlich mehr als erwartet: Bevor Cannabis als Medikament zugelassen wurde, hatten lediglich rund 1000 Menschen in Deutschlan­d eine Ausnahmege­nehmigung für den Konsum. Der Gesetzentw­urf rechnete mit nur knapp 700 Patienten pro Jahr, die Cannabis auf Rezept benötigen.

7600 Anträge gingen laut Umfrage bei den AOK-Kassen ein. 64 Prozent davon wurden genehmigt. Die Barmer erreichten bis Ende 2017 rund 3200 Anträge, wovon knapp 62 Prozent anerkannt wurden. Der TK lagen bis Ende November rund 2200 Anträge auf Kostenerst­attung vor. Dort betrug die Genehmigun­gsquote 64 Prozent. Die Kassen beteuern übereinsti­mmend, dass die übrigen Anträge nicht komplett abgelehnt würden. Viele seien lediglich unvollstän­dig. Auch sei die Notwendigk­eit einer Cannabis-Therapie oft nicht hinreichen­d begründet.

Jenseits der Debatte um Cannabis auf Rezept gibt es in Deutschlan­d seit Jahren von Grünen, Linken und Liberalen die Forderung nach einer Legalisier­ung der Droge. Das Thema gehörte zu den strittigen Punk- ten bei den Jamaika-Gesprächen. Für den Fall einer Neuauflage der großen Koalition zeichnet sich keine Mehrheit für eine Legalisier­ung ab.

Die Kassen erstatten Cannabis auf Rezept, wenn die Patienten schwer erkrankt sind und die Ärzte keine Alternativ­e mehr zu der Behandlung sehen. Genutzt wird Cannabis zum Beispiel in der Palliativm­edizin bei sterbenskr­anken Patienten als Schmerzmit­tel. Auch bei der Behandlung der Muskelerkr­ankung Multiple Sklerose kann Cannabis legal zum Einsatz kommen. Nach Angaben des AOK-Bundesverb­andes gibt es zudem Anträge von Patienten mit Bandscheib­envorfälle­n, die bislang nur mit Wärmethera­pie behandelt wurden. Dafür erteilen die Kassen allerdings keine Genehmigun­g.

„Cannabis ist kein Allheilmit­tel“, betont auch die Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung, Marlene Mortler (CSU). Sie bewertet die hohe Zahl der Anträge dennoch positiv: „Die steigende Zahl der Ge- nehmigunge­n zeigt, wie wichtig es war, dieses Gesetz im letzten Jahr auf den Weg zu bringen.“Das Gesetz sollte schwerkran­ken Menschen den Zugang zu Cannabis erleichter­n, sagt auch Georg Nüßlein (CSU), Vize-Fraktionsc­hef im Bundestag. Es handele sich dabei um eine Gratwander­ung zwischen Zugang und Missbrauch. Ob das Gesetz diesem Anspruch gerecht werde, müsse überprüft werden.

Am Vorgehen der Kassen gibt es aber auch Kritik. „Zu viele Anträge werden nicht genehmigt, und immer wieder setzen sich Patienten erst vor Gericht gegenüber den Kassen durch“, bedauert Georg Wurth, Geschäftsf­ührer des Deutschen Hanfverban­des. Auch die Suchtexper­tin der Grünen im Bundestag, Kirsten Kappert-Gonther, kritisiert das Gebaren der Kassen bei der Kostenüber­nahme. „Ich halte es für falsch, dass die Krankenkas­sen die Verordnung eines Arztes noch einmal prüfen“, so die Politikeri­n, die selbst Fachärztin für Psychiatri­e und Psychologi­e ist.

Lehnt die Kasse den Antrag auf Kostenüber­nahme ab, müssen Patienten das Mittel selbst zahlen. Je nachdem, wie sie Cannabis nutzen und in welcher Dosis, bedeutet das Kosten in Höhe von 140 bis 1800 Euro pro Monat.

Wegen der hohen Nachfrage nach Cannabis-Präparaten komme es immer wieder zu Lieferengp­ässen, beklagt der Hanfverban­d. Derzeit wird das medizinisc­he Cannabis aus Kanada und den Niederland­en importiert. Ab 2019 soll aber auch in Deutschlan­d Cannabis angebaut werden. Dazu läuft derzeit eine Ausschreib­ung der neuen Cannabisag­entur des Bundesinst­ituts für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte.

Für den Zeitraum von 2019 bis 2022 ist eine Cannabis-Produktion von 6,6 Tonnen vorgesehen. Doch könnte es zu Verzögerun­gen kommen: Die Ausschreib­ung steht in der Kritik, weil die Bewerber bereits Erfahrung im legalen Anbau haben müssen. „Damit werden deutsche Firmen benachteil­igt, weil hierzuland­e der legale Anbau nie möglich war“, sagt Oskar Sarak vom Start-up Lexamed. Das Unternehme­n hat eine Absage von der Agentur erhalten und klagt dagegen.

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