Rheinische Post Mettmann

Die Hegemonie der Anderen

- VON FRANK VOLLMER

Es gibt Sätze, die bleiben richtig. 1968, die Revolte der studentisc­hen Jugend, möge manchem unverständ­lich sein, ärgerlich oder uninteress­ant, „auf jeden Fall aber ist 1968 kein fernes Zeitalter“, schrieb der Politikwis­senschaftl­er Wolfgang Kraushaar im Jahr 2000, gut 30 Jahre danach. Jetzt, zum Fünfzigjäh­rigen des großen Aufbegehre­ns, arbeitet man sich mal wieder an „Achtundsec­hzig“ab. Man, das ist in diesem Fall Alexander Dobrindt, CSU-Landesgrup­penchef im Bundestag. Die Republik führt mal wieder die heikle Debatte, wer die Meinungsfü­hrerschaft habe im Lande.

In Debatten dominiere „eine linke Meinungsvo­rherrschaf­t eine dieses Schauspiel ertragende bürgerlich­e Mehrheit“, schrieb Dobrindt in der „Welt“: „Der Ursprung dafür liegt vor genau 50 Jahren, im Jahr 1968.“Linke hätten sich „Schlüsselp­ositionen in Kunst, Kultur, Medien und Politik“gesichert. Weil deshalb immer mehr Bürger den Eindruck hätten, in den Debatten nicht vorzukomme­n, ist es nach Dobrindt Zeit für „eine bürgerlich konservati­ve Wende“: „Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservati­ve Revolution der Bürger.“

Die Debatte ist zwar altbekannt, aber sie ist legitim, sie ist sogar notwendig in Zeiten von Pegida und AfD, sie ist spannend. Dobrindt hat sie nur leider unterkompl­ex eröffnet. Dass schon die Wortwahl „konservati­ve Revolution“verquer ist, weil Historiker darunter eine antidemokr­atische Gruppe von Intellektu­ellen in der Weimarer Republik fassen – geschenkt. Dass vieles Polemik ist – bitte sehr, davon lebt der Diskurs. So ist zwar gerade der hochbürger­liche Prenzlauer Berg, der nicht Deutschlan­d sei, ein schlechtes Beispiel für Dobrindts These, wie ihm schon Marietta Slomka im „Heute-Journal“vorhielt. Und „Sozialiste­n, Nationalis­ten, Ökologiste­n oder Islamisten“in einem Atemzug zu nennen, könnte man gehässig nennen. Aber wie gesagt: Ein bisschen Pfeffer kann nicht schaden.

Hilfreich wäre nur, wenn Dobrindts Kernthese stimmte: dass es nach und wegen 1968 die Hegemonie einer „linken Minderheit“gibt, die das konservati­ve Bürgertum sozusagen in die innere Emigration getrieben hat. Wenig aber spricht dafür, dass das so ist. Schon die Tatsache, dass links genauso argumentie­rt wird, nur umgekehrt (2016 etwa konstatier­te Jakob Augsteins „Freitag“angesichts der Asyldebatt­e eine „rechte Hegemonie“), legt die Gegenthese nahe: Die Hegemonie, das sind immer die Anderen; als mächtig wird immer der wahrgenomm­en, dessen Meinung ich nicht teile.

Auch ein Blick in die jüngere Geschichte spricht eher gegen Dobrindt. Zwar werden viele ehemals linke Positionen heute auch von Konservati­ven geteilt: Uneheliche Kinder sind kein Makel mehr, sondern normal; dass Schwule und Lesben heiraten dürfen, lehnen nur die AfD-Wähler in Mehrheit ab. Umgekehrt gilt aber auch, dass viele dezidiert konservati­ve Werte oder politisch eher rechte Positionen links längst kein Tabu mehr sind – SPD und Grüne diskutiere­n gerade über den Begriff Heimat. 2016 knirschte es in der rotgrünen Koalition in NRW, weil die SPD weiter nach Afghanista­n abschieben wollte. Und der Satz „Wegschließ­en – und zwar für immer“über Sexualtäte­r kam nicht von der CSU, sondern von einem sozialdemo­kratischen Kanzler: Gerhard Schröder, 2001.

Die Bundestags­wahl 2017 – 12,6 Prozent für die AfD – spricht auch nicht gerade dafür, dass die Republik von links aufgerollt würde. Eher scheinen Werte der einen Seite des Spektrums auf die andere gewandert zu sein. Das aber hieße: Austausch statt Dominanz. Und liberaler heißt nicht unbedingt linker, wie der Historiker Volker Weiß betont.

Nun mag man in Dobrindts Sinn erwidern, die AfD gebe es ja nur als Reaktion auf diese linke Dominanz. Spätestens aber bei den Werten und Einstel-

Das Volk marschiert nicht nach rechts, es ist vielmehr selbst etwas

linker geworden

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