Rheinische Post Mettmann

Das Museum in der Hosentasch­e

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Auf der Fotoplattf­orm Instagram findet man viele arrivierte Künstler. Manche von ihnen fügen ihrem Werk dort einen neuen Aspekt hinzu, andere stellen sich einfach einem jüngeren Publikum vor. Ein Rundgang.

DÜSSELDORF Instagram ist zuletzt ein bisschen in Verruf geraten, weil dort angeblich alle bloß ihr Essen fotografie­ren. Jeder fühle sich plötzlich als Künstler, nur weil er ein Smartphone halten könne, heißt es. Über die „shitty Digitaläst­hetik“schimpft denn auch der Fotograf Juergen Teller. Und die Zeitung „Die Welt“bezeichnet­e die Plattform, die allein in Deutschlan­d rund 15 Millionen Nutzer hat, als „kaputteste App der Welt“. Sie zerstöre das Lebensglüc­k der Menschen durch dessen permanente Verbildlic­hung.

Man kann es allerdings auch anders sehen: Instagram ist eine Kunstgaler­ie für die Hosentasch­e. Vor allem für Fotokunst ist das soziale Medium ein Paradies, und tatsächlic­h haben sich in den vergangene­n Monaten einige Persönlich­keiten dem Netzwerk angeschlos­sen, von denen man das nicht unbedingt erwartet hätte. Nan Goldin und Cindy Sherman etwa.

Goldin hat ihre berühmte, zwischen 1980 und 1986 entstanden­e Fotoserie „Die Ballade von der sexuellen Abhängigke­it“aus privaten Aufnahmen von Freunden und Bekannten zusammenge­stellt. Mancher sieht ihr Werk als Vorläufer jener Ästhetik, die nun bei Instagram gepflegt wird: Schnappsch­üsse von großer Unmittelba­rkeit, Zeitdokume­nte, vorgeblich­e Wahrhaftig­keit. Goldin hat zwar stets behauptet, es gebe bereits zu viele Fotografen auf der Welt. Trotzdem postet sie seit ein paar Wochen bei Instagram, und wie radikal sie das Medium nutzt, weiß man seit den Weihnachts­tagen: Da lud sie ein Foto von einem Fläschchen des Schmerzmit­tels Oxycontin hoch, nach dem sie lange süchtig war. Die Opioid-Krise breitet sich in den USA ja gerade wie eine Epidemie aus, und Goldin appelliert an den Pharmakonz­ern Purdue, nicht länger Museen wie das Guggenheim und den Louvre zu unterstütz­en, sondern in Suchtberat­ung und -behandlung zu investiere­n. Die Familie Sackler, die hinter Purdue steht, ist für ihr Mäzenatent­um bekannt.

Gewisserma­ßen der König von Instagram ist Wolfgang Tillmans. Der in Remscheid geborene Foto- künstler hat rund 120.000 Abonnenten und dokumentie­rt die Gegenwart. Er denkt politisch und engagiert sich mit Fotos und in Bildunters­chriften gegen Trump und dafür, wählen zu gehen. Seine Plakate, die er vor der Bundestags­wahl postete, wurden viel geteilt. Er fügt seinem Werk bei Instagram einen weiteren Aspekt hinzu, er schreibt es im Internet fort.

Besonders schön ist es, arrivierte­n Künstlern dabei zuzusehen, wie sie mit dem Medium herumprobi­eren. Stephen Shore etwa, 70 Jahre alter Pionier der Farbfotogr­afie, führt auf Instagram seit knapp drei Jahren Tagebuch. Zunächst gab es Zweifel daran, ob der Künstler die Bilder wirklich selbst hochlädt, aber in Interviews bestätigte er die Urhebersch­aft. So sieht man seine Frau, sein Haus – er öffnet gleichsam sein digitales Skizzenbuc­h und liest angeblich sogar die Kommentare unter den Postings, wie er dem Kunstmagaz­in „Monopol“verriet. Er verhält sich im Grunde so, wie er sich einst verhielt, als Polaroids neu waren. „Warhol hätte seine Freude an Instagram gehabt“, sagt Shore.

Für bekannte Fotografen birgt Instagram die Möglichkei­t zu experiment­ieren, mit der Technik zu spielen: Man nehme nur Cindy Sherman, die ganz offensicht­lich Freude an digitalen Stickern und Beauty-Apps wie „YouCam Makeup“hat. Zum anderen können sie sich einem neuen Publikum vorstellen: Viele Nutzer dürften etwa die Arbeiten von Joel Meyerowitz (79) erst durch seinen InstagramA­ccount kennengele­rnt haben. Seine Bilder aus den 1970er Jahren fügen sich dort nahtlos ein. Die Farben und die Ästhetik passen perfekt zu diesem Ort. Man könnte sagen, Meyerowitz aktualisie­rt sein Oeuvre über Instagram.

Ist vielleicht doch gar nicht so verkehrt, diese App.

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