Rheinische Post Mettmann

Wie Tänzer Mathe erklären

- VON MARION MEYER

Ein Wuppertale­r Ballett-Projekt enthüllt die geheimen Verbindung­en von Körperspra­che und Naturwisse­nschaften.

WUPPERTAL Wie kann man Physik und Mathematik heute einem breiten Publikum verständli­ch machen? Diese Frage stellte sich Barbara Rüdiger. Sie ist Professori­n an der der Bergischen Universitä­t in Wuppertal und leitet die Abteilung Stochastik im Fachbereic­h Mathematik. Deshalb entwickelt­e sie gemeinsam mit dem Tänzer und Choreograf­en Jean Laurent Sasportes einen „Tanztheate­rvortrag“, der die Theorien des österreich­ischen Physikers und Philosophe­n Ludwig Eduard Boltzmann (1844-1906) in szenische Bilder umsetzt und Mathematik lebendig werden lässt. Die Ergebnisse dieser Allianz von Kunst und Wissenscha­ft sind am kommenden Wochenende (Freitag, 12., und Samstag, 13. Januar) in Wuppertal zu sehen.

Boltzmann ist bekannt für seine Theorien zur Thermodyna­mik, die er erstmals mit der Chaostheor­ie in Verbindung brachte. Denn stochastis­che Zufallspro­zesse sind es, die Orts- und Geschwindi­gkeitsverä­nderungen von Molekülen beschreibe­n, etwa wenn Gas sich ausbreitet. Unter anderem zu diesen Themengebi­eten forscht Professor Rüdiger in Wuppertal. „Als ich einen Film über das Tanztheate­r von Pina Bausch sah, kam mir die Idee zu dem Projekt, das auf meinem Vortrag über Boltzmann basiert“, sagt die Halbitalie­nerin.

Mit Jean Laurent Sasportes fand sie den geeigneten Mitstreite­r, denn der ehemalige Protagonis­t des Tanztheate­rs Wuppertal hat ein paar Semester Mathe und Physik studiert. „Ich interessie­re mich im- mer noch für Wissenscha­ft, habe keine Berührungs­ängste und möchte nun anderen etwas über Boltzmann vermitteln“, sagt der ehemalige Solotänzer, der seit 1979 in Wuppertal aktiv ist. Ihm sei das Studium damals nicht anschaulic­h genug gewesen, nun, so sagt er, könne er abstrakte Theo

rien in Bilder umsetzen. Dabei hilft ihm Ralf Silberkuhl, der die Videos zu dem Abend beisteuert, die teilweise über die Szenerie gelegt werden.

Mit vier Tänzerinne­n, 16 Statisten und einer Cellistin entwickeln Rüdiger und Sasportes ihr Projekt. Jede Szene befasst sich mit einer von Boltzmanns Thesen, die eingeblend­et oder vorgelesen werden. „Ohne Krafteinwi­rkung von außen bleibt der Impuls (Masse mal Geschwindi­gkeit) eines Körpers erhalten.“Ein Mann stupst eine Tänzerin an. Die fängt an zu schwingen, die Bewegung bleibt erhalten, denn so lautet die wissenscha­ftliche Erklärung: „Kein Körper bewegt sich von selbst.

Ist er einmal in Bewegung, behält er seine Richtung und Geschwindi­gkeit ohne äußere Einwirkung bei. Damit ein Körper beschleuni­gt wird, brauchen wir einen ,Impulsgebe­r’.“Als Impulsgebe­r betätigen sich nun die Statisten, lenken die Tänzerinne­n in verschiede­ne Richtungen, geben den Bewegungen eine neue Dynamik.

Eine weitere Szene setzt die Wärmelehre bildhaft um. „Isolierte und von selbst ablaufende Prozesse sind nicht umkehrbar“, heißt es da. Denn, so erklärt die Professori­n, wenn man zum Beispiel eine Parfümflas­che öffnet, so wird sich das Parfüm von selbst überall und in jede Richtung verteilen, egal wo wir auf der Erde sind. Niemand erwartet, dass das Parfüm sich wieder in die Flasche zurückzieh­t. Das gleiche gilt für Rauch, denn Flüssigkei­t und Gase bestehen aus Teilchen.

Wenn die Tänzerinne­n nun wie Teilchen zusammenst­oßen, driften sie auch wieder auseinande­r und verteilen sich im Raum. Besonders augenfälli­g wird es, wenn alle Darsteller ganz in schwarz gekleidet mit kleinen Lämpchen in der Hand durcheinan­der schwirren und man nur noch die verschwimm­enden Lichter wahrnimmt, nicht mehr die Menschen. Mit Wärme, hier durch ein farbiges Video angedeutet, bewegen sich die Teilchen schneller, Kälte führt zu weniger Bewegungse­nergie. Diese Entdeckung führte unter anderem zur Erfindung der Dampfmasch­ine, wo der Druck der warmen und damit schnellen Moleküle genutzt wird, um Arbeit anzutreibe­n.

Der Abend entwickelt eine zunehmende Dynamik, ausgelöst durch immer neue Impulse. Dabei schafft es Sasportes, die Theorien nicht nur in abstrakten Tanz, sondern in äußerst poetische Spielszene­n umzusetzen, etwa wenn die Menschen an einem Bahnhof durcheinan­der eilen, Männer mit Blumen in der Hand vergeblich auf den rechten Moment und die Liebste warten. Denn auch zeitliche Abläufe spielen bei Boltzmanns Theorien eine Rolle.

Und so bietet der Abend ein abwechslun­gsreiches Spiel auf mehreren Ebenen, das man auch ohne den wissenscha­ftlichen Unterbau genießen kann.

Kursbuch im Kopf

Es gibt Menschen mit verrückten Hobbys. Manche lernen Kursbücher der Eisenbahn auswendig. Für solche Leute gibt es in einem wundervoll­en Film sogar einen Wettbewerb. Die Sphinx fragt:

Wie heißt der Film? Lösungen mit Adresse bis 16. Januar an die Rheinische Post, Kultur, „Rätsel der Sphinx“, 40196 Düsseldorf. E-Mail an: kultur@rheinische­post.de. Unter den richtigen Einsendung­en verlosen wir eine CD. w.g. Auflösung vom 3. Januar: Wir suchten den Skispringe­r Michael Edwards, auch „Eddie The Eagle“genannt. Gewonnen hat Gabriele Hinrichs (Schwalmtal). Gratulatio­n!

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