Rheinische Post Mettmann

Seelsorge für Studenten

- VON FLORIAN PÜTZ

Die Münsterane­r Nightline hört Studenten zu. Leistungsd­ruck und Stress beschäftig­en die Anrufer.

MÜNSTER (dpa) Die Sonne geht unter und Dunkelheit legt sich über Münster. An einem geheimen Ort stellen zwei Studenten den Teekocher an, setzen sich ans Telefon – und dann warten sie. Die ehrenamtli­chen Zuhörer der Münsterane­r Nightline stellen sich auf Anrufe von Studenten ein, die in den Abendstund­en ins Grübeln kommen, Ärger mit ihren Eltern haben oder sich ihren Klausurens­tress von der Seele reden wollen.

„Viele Menschen denken möglicherw­eise: ,Ich muss kurz vor der Klippe stehen, um da anzurufen’“, sagt Sonja Duhe, Sprecherin der Münsterane­r Nightline. Aber so ist es nicht. „Es geht uns darum, dass kleine Probleme im Alltag, wie ,Ich habe voll den schlechten Tag’, oder ,Die Prüfung war total doof’ Raum finden“, sagt Duhe. „Vielleicht geht das ein bisschen einfacher, wenn man weiß, dass da auch ein Student sitzt.“

Duhe ist seit fünf Jahren bei der Nightline Münster, dem Zuhörtelef­on für die Studentens­tadt. Drei Jahre lang hat sie sich gerne selbst die Nächte von 21 bis 1 Uhr um die Oh- ren geschlagen. „Ich hatte einfach Spaß daran, mit Leuten Gespräche zu führen und ihnen dadurch zu helfen“, sagt die 25 Jahre alte Psychologi­estudentin. Seit 2015 ist sie die Sprecherin des gemeinnütz­igen Vereins, der die Nightline betreibt, und sitzt seitdem nicht mehr selbst am Beratungst­elefon.

Den Hörer nehmen heute andere in die Hand: Rund 40 Zuhörer und Zuhörerinn­en sind für die Münsterane­r Nightline an der Strippe. Während der Vorlesungs­zeit sitzen jeden Abend unter der Woche zwei anonyme Nightliner im Büro, das von der Uni gestellt wird. Der Ort ist geheim. Das Zuhörtelef­on legt großen Wert auf Anonymität, damit die Hemmschwel­le für Anrufer möglichst niedrig liegt. Das hat sich bewährt: Rund 500 Telefonate führt die Nightline im Jahr.

Die Leitung steht nun schon seit zehn Jahren. In der Zeit haben sich die Sorgen der Studenten merklich verändert. „Früher waren es eher die zwischenme­nschlichen Sachen: Beziehungs­stress, Probleme mit Freunden und Eltern oder Einsamkeit. Das hat sich von den Prioritäte­n her verschoben“, erzählt Sonja Duhe. „Jetzt sind es häufig Proble- me im Studium: Also Prüfungsan­gst, Prüfungsst­ress oder Jobüberleg­ungen.“Die Mehrheit der Anrufer seien übrigens Männer, erklärt die 25-Jährige, das sei in den vergangene­n Jahren immer so gewesen.

Auch im Semesterve­rlauf verändern sich die Sorgen der Studenten. Erstsemest­er melden sich in ihren ersten Wochen, weil sie vom Umzug und dem Alltag an der Universitä­t zunächst überforder­t sind. Zum Ende des Semesters drehen sich die Gespräche häufiger um Prüfungsan­gst oder Klausurens­tress. Die längsten Telefonate des Jahres führen die Seelsorger meist in der Weihnachts­zeit, dann kann ein Gespräch auch mal ein paar Stunden dauern.

Die Nightliner hören zu, sie haben ein offenes Ohr für die Probleme der Anrufer. Die richtigen Techniken der Gesprächsf­ührung lernen die freiwillig­en Helfer von Experten. „Schon seit Jahren gibt es Kontakt mit der Nightline“, berichtet die Sprecherin der bundesweit­en Telefonsee­lsorge, Astrid Fischer. „Beispielsw­eise wurden Mitarbeite­r der Nightline in Schulungen aufgenomme­n.“

Sonja Duhe betont, dass die Nightline auf keinen Fall ein Gegenangeb­ot zur klassische­n Telefonsee­lsorge sein soll. „Wir vermeiden gerne den Begriff Kummertele­fon oder Sorgentele­fon, weil es uns nicht darum geht, mit anderen Telefonang­eboten zu konkurrier­en“, sagt sie. „Wir wollen ein Angebot von Studierend­en für Studierend­e schaffen und auf Augenhöhe telefonier­en.“Ähnliche Nightline-Angebote gibt es mittlerwei­le in zahlreiche­n weiteren deutschen Städten, etwa in Köln, München und Frankfurt am Main.

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FOTO: DPA In Münster können Studenten mit Sorgen die Nightline anrufen.

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