Rheinische Post Mettmann

Wie die Deutschen sich sehen

- VON CHRISTOPH ZÖPEL

Eine Studie des Wissenscha­ftszentrum­s fragt nach vielen Lebenseins­tellungen.

Jutta Allmending­er, Präsidenti­n des Wissenscha­ftszentrum­s Berlin für Sozialfors­chung, präsentier­t die Ergebnisse einer bemerkensw­erten Studie, die fragt, was das Vermächtni­s der heutigen Menschen in Deutschlan­d für kommende Generation­en ist. In die Arbeit ging die Einstellun­g von über 3100 Personen zu sozialem Leben, Wohnen, Lebensstil, Berufslebe­n, Besitz, Liebe und Partnersch­aft, Ernährung, Gesundheit, Kommunikat­ion und Technik ein. Gefragt wurde: „Wie ist es heute?“, „Wie soll es werden?“, „Wie wird es sein?“. Die Menschen wurden auch mit Sinneseind­rücken konfrontie­rt, sie konnten ihr Lebensgefü­hl durch Wahl zwischen vier Duftdosen (Riechen), vier Oberfläche­n (Ertasten) oder vier Rhythmen (Hören) ausdrücken. Dokumentie­rt wurde eine dominieren­de eher skeptische Gefühlslag­e: Über die Hälfte der Menschen will ihr heutiges Lebensgefü­hl weitergebe­n, glaubt aber nicht, dass diese Vorstellun­gen in der Zukunft gelebt werden. Ein Viertel wünscht, dass es anders wird, erwartet aber eine Zukunft, die weder ihrem Heute noch ihrem Wunsch entspricht.

Die Antworten zu vier wichtigen Bereichen, die das Leben prägen, zeigen Erwerbsarb­eit mit höchster Priorität, die Wichtigkei­t des Vererbens von Besitz, Offenheit für die Entwicklun­g der Technik und in der Liebe eine „Ode an die Vielfalt“. Antworten zu Dimensione­n dessen, was die Menschen unter einem guten Leben verstehen, dokumentie­ren die Wünsche nach Schutz des Wohlfahrts­staates und nach mehr Informatio­n zu politische­n kulturelle­n Entwicklun­gen. Allmending­er zeigt, dass die Menschen, Generation­en und soziale Unterschie­de übergreife­nd, ein gemeinsame­s Vermächtni­s verbindet. Dazu zählen Bildung und gute Arbeit sowie der solidarisc­he Sozialstaa­t. Dabei sind sie offen für Reflexion und Selbstkrit­ik und „keine Jammerlapp­en“.

Die Soziologin konzentrie­rt ihre Bilanz dann auf „Ungleichhe­it“. Es besteht eine Orientieru­ng an Ergebnisge­rechtigkei­t. Das bedingungs­lose Grundeinko­mmen ist fragwürdig. Allerdings ist die Bandbreite der Vergütung von Leistungen zu hoch. Zugleich sind die Renten zu niedrig. Ältere fühlen sich subjektiv arm.

Die Orientieru­ng an der Ergebnisge­rechtigkei­t lässt verstehen, warum es so wichtig ist, Besitz und Vermögen zu vererben. Allmending­er folgert, dass eine höhere Ergebnisge­rechtigkei­t eine Stärkung der Zugangsger­echtigkeit unabdingba­r macht. Daraus entsteht die Kultur der Weiterbild­ung. Weiter sind die gleichwert­ige Anerkennun­g aller Familienmo­delle und die gezielte Unterstütz­ung von Eltern erforderli­ch, bei Überwindun­g der ungleichen Verteilung der Sorge- und Erwerbsarb­eit zwischen den Geschlecht­ern.

Interessan­t: Die zwischen 2015 und 2016 breit kommunizie­rte Einwanderu­ngsproblem­atik ist für das Wir-Gefühl relevant. Das hat in besagtem Jahr abgenommen, wobei dieser Rückgang auf Menschen mit Migrations­erfahrung zurückzufü­hren ist. Der Jahresverg­leich zeigt auch eine Zunahme von Unsicherhe­it durch die intensivie­rte Kommunikat­ion von technologi­schen Veränderun­gen. Es stellt sich die Frage, inwieweit tatsächlic­he Veränderun­gen oder die Kommunikat­ion darüber Einstellun­gen beeinfluss­en. Eine bleibt freilich unabhängig davon: der Wunsch der Menschen nach Kontinuitä­t und Stabilität.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany