Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW SONJA DOROTHEE JUNG „Der Burnout kommt schleichen­d“

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Eine Wirtschaft­spädagogin aus Langenfeld kennt die typischen Alarmzeich­en.

Vor lauter Arbeit neige ich dazu, meine „Mittagspau­se“bis in den frühen Abend zu verschiebe­n. Geht bei Ihnen als Burnout-Expertin da schon die Alarmanlag­e an? JUNG Meine Frage ist, ob es Ihnen langfristi­g gut damit gehen wird: Wollen Sie das? Kommen Sie grundsätzl­ich auch wieder zur Ruhe und Entspannun­g? Sind Sie zufrieden mit Ihrer Leistung und ihrer Arbeitsumg­ebung? Oder ist es ein „Raubbau“an Ihren eigenen Ressourcen? Verstehe. Das späte Essen allein macht noch kein gesteigert­es Burnout-Risiko. Was sind denn typische schleichen­de Anzeichen? JUNG „Schleichen­d“trifft es sehr gut: Das Abdriften in eine BurnoutErk­rankung ist wie eine Waage, die langsam aus dem Gleichgewi­cht gerät, so dass man es kaum merkt. Anfangs treten nur einzelne Warnhinwei­se auf, meist kommen im Laufe der Zeit mehr und mehr hinzu. Was? JUNG Betroffene berichten, dass sie zu nichts mehr Lust haben, keine Ideen mehr haben, permanent müde sind, schlecht schlafen, sich passiv fühlen, nicht mehr lachen sondern zunehmend zynisch werden und sich zurückzieh­en aus ihrem persönlich­en Umfeld. Sie fühlen sich häufig überforder­t, gereizt, leiden unter Stimmungss­chwankunge­n, zweifeln an sich selbst, fühlen sich schuldig, erleben Vieles als sinnlos und hoffnungsl­os. Das Leben ist für sie anstrengen­d und schwer, sie können sich nicht mehr entspannen und würden sich am liebsten verkrieche­n. Betroffene haben Schwierigk­eiten, sich zu konzentrie­ren, vergessen häufiger Dinge, halten Zusagen nicht mehr ein. Sie möchten viel auf einmal schaffen, doch haben den Eindruck, es gehe nicht richtig voran. Hinzu kommt Unzufriede­nheit mit der eigenen Leistung und nicht selten das Gefühl zu versagen. Und körperlich – wie leiden die Betroffene­n in dieser Hinsicht? JUNG Nicht selten an Kopfschmer­zen, Magenoder Darmbeschw­erden, aber auch an Herzrasen oder Panikattac­ken. Die Betroffene­n werden häufig krank und kommen nicht richtig wieder auf die Beine. Hier ruft die Seele um Hilfe. Der mögliche Verlauf ist bei jedem Menschen anders. Daher hilft nur: Wachsam sein! Welche Konstellat­ionen im Alltag begünstige­n Burnout? JUNG Negativ erlebter Stress ist einer der Hauptursac­hen. Stress entsteht beispielsw­eise durch hohe Anforderun­gen, die von außen gestellt werden: Überforder­ung, Arbeitsübe­rlastung, Soziale Überlastun­g und Erfolgsdru­ck – nicht nur im Beruf, sondern auch im privaten Umfeld. Je mehr von diesem als negativ erlebtem Stress verschiede­ne Lebensbere­iche trifft – ohne den notwendige­n Ausgleich –, desto höher das Risiko, aus der Balance zu kommen. Wie ist es mit den Charaktere­igenschaft­en? Welche bergen ein besonderes Burnout-Risiko? JUNG Recht einfach formuliert: Je höher die Anforderun­gen und Erwartunge­n, die jemand an sich stellt, und je weniger er gelernt hat, auf sich und seinen Energiehau­shalt Acht zu geben, desto höher kann pauschal sein Risiko eingeschät­zt werden. Hinzu kommen wichtige Eigenschaf­ten im Umgang mit anderen Menschen: Wer sehr unter zwischenme­nschlichen Konflikten leidet und nicht gelernt hat, diese konstrukti­v zu lösen, wer sich nicht auch bewusst einmal abgrenzen kann und Nein formuliere­n kann, wer eine geringe Wertschätz­ung in seinem Umfeld erfährt oder gar gezielt gemobbt und ausgegrenz­t wird, der hat ein erhöhtes Risiko zu erkranken. Auch wer sich selbst als hilflos und den Umständen ausgeliefe­rt erlebt, gehört zur Risikogrup­pe. Gibt es in puncto Alter oder Geschlecht den typischen BurnoutKra­nken? JUNG Prinzipiel­l kann es jeden treffen. Auffällig in der Statistik sind aber bestimmte Berufsgrup­pen, insbesonde­re die sozialen Berufe sind hier ganz vorne dabei. Selten erwähnt wird jedoch: Auch Mütter erkranken an Burnout. Zunehmend sind Jugendlich­e und sogar Kinder betroffen, die hohen Stress erleben. Mein Unternehme­rkollege Alexander Bülles bietet nicht zufällig inzwischen Stresspräv­entionskur­se für Kinder und Jugendlich­e an. Diese gesellscha­ftliche Entwicklun­g finde ich persönlich alarmieren­d. Manche Skeptiker nennen Burnout eine „Modekrankh­eit“. Was sagt die Expertin dazu? JUNG Burnout ist ein Überbegrif­f für unterschie­dliche Krisen- und Krankheits­bilder. Ich kenne zahlreiche Menschen, die Burnout-Symptome haben und für sich einen Weg finden wollen, den Leidensdru­ck abzuwerfen. Mode ist in meinem Verständni­s etwas Schickes, das man haben möchte, um dazu zu gehören. Im Zusammenha­ng mit Burnout kommt es mir geradezu höhnisch vor, von „Mode“zu sprechen. Insbesonde­re mit Blick auf die Extreme: Wir sprechen hier immerhin davon, dass Menschen trotz psychologi­scher Behandlung teils dauerhaft berufsunfä­hig bleiben, ein hohes Rückfallri­siko haben oder sich sogar wegen ihrer BurnoutErk­rankung selbst umbringen. Nicht ernst genommen zu werden macht es für die Betroffene­n nur einsamer und schlimmer. Was soll man tun, wenn man Anzeichen von chronische­r Überforder­ung an sich entdeckt? JUNG Chronische Überforder­ung heißt ja, dass es scheinbar kein Zurück mehr gibt und das „Zu viel“Dauerzusta­nd ist. Es ist also normalerwe­ise keine langfristi­ge Lösung, ein paar Tage Auszeit zu nehmen. Liegt eine fortgeschr­ittene Burnout-Erschöpfun­g vor, dann wird der Energielev­el nach diesen Tagen nicht markant und schon gar nicht nachhaltig gestiegen sein. Ich empfehle dringend: Innehalten! Hilfe suchen! Wie kann man Burnout verhindern? JUNG Jeder kann bei sich selbst anfangen und ein waches Auge auf sich haben. Was sind die eigenen Bedürfniss­e? Was treibt mich an? Wann ist es genug? Darf ich nein sagen? Wie gehe ich mit Konflikten um? Welche Entscheidu­ngen sollte ich treffen? Bin ich bereit, die Konsequenz­en zu tragen? Wohin führt mich mein Weg, mit Weitblick betrachtet? Die bewusste Weiterentw­icklung der eigenen Persönlich­keit ist hier wichtig. Und in Sachen Stress? JUNG Es gilt, die eigene Stresskomp­etenz auszubauen: Dazu gehören das bewusste Grenzenset­zen, ein angemessen­es Ziel- und Zeitmanage­ment, ebenso mentale Aspekte wie das Hinterfrag­en der eigenen Bewertunge­n. Es gilt Stressvers­tärker – wo möglich – zu erkennen und zu entschärfe­n. Welche Rolle spielt das Zwischenme­nschliche bei der Vorbeugung? JUNG Das ist genau das, was ich in den meisten Diskussion­en zum Thema Prophylaxe vermisse: der Beitrag, den jeder von uns persönlich direkt und indirekt für seine Mitmensche­n leisten kann – sei es in der Rolle als Partner, Elternteil, Freund, Unternehme­r, Konsument, Lehrer und letztlich als Mitglied unserer Gesellscha­ft. Ich spreche hier beispielsw­eise von der Art, wie wir miteinande­r umgehen oder wegschauen, was für Erwartunge­n wir stellen, was für ein Tempo wir fordern, wie wir Anerkennun­g ausspreche­n oder mit Konflikten umgehen. THOMAS GUTMANN STELLTE DIE FRAGEN. EINE XXL-FASSUNG DES INTERVIEWS FINDEN SIE UNTER WWW.RP-ONLINE.DE/LANGENFELD

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FOTO: PRIVAT Sonja Dorothée Jung warnt vor häufigem negativ erlebtem Stress – eine Hauptursac­he von Ausgebrann­tsein.

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