Rheinische Post Mettmann

Treffsiche­res Düsseldorf

- VON JÜRGEN BECKER

Düsseldorf sagt den Zug ab, Köln den Sturm“titelten die Zeitungen, und diese Schlagzeil­e ist auch zwei Jahre später noch bezeichnen­d für das Verhältnis der beiden Rivalen am Rhein. Wir erinnern uns: Was stand hinter dem vermeintli­chen Triumph der mutigen Kölner? Die Domstadt liegt bei Südwestwin­d ein wenig im Windschatt­en der Eifel und hatte da bessere Karten als Düsseldorf im Durchzug des platten Niederrhei­ns. Doch den wahren Grund fanden wir bei den Psychologe­n, denn die Domstadt liegt auf der Couch. Köln kann keine Oper, keine U-Bahn, keinen Hubschraub­erlandepla­tz, erst recht keine Verwaltung – Köln kann Karneval. Folgericht­ig musste der Zug trotz Sturmwarnu­ng gehen. Was wäre sonst noch auf der Habenseite geblieben?

Die Karnevalis­ten haben zu Recht hoch gepokert und damit die kölsche Seele halbwegs gerettet. Doch nun das Verblüffen­de: Der Düsseldorf­er Rosenmonta­gszug machte ausgefalle­n mehr Wirbel als der Kölner gegangen. Die türkische Generalkon­sulin verließ das Rathaus, der polnische Außenminis­ter protestier­te in Berlin. „Besorgte Bürger“echauffier­ten sich über einen Wagen zur AfD.

Der Düsseldorf­er Zug legt seinen Finger stets treffsiche­r in die Wunden der Zeit. Insofern könnte man sagen: besser pointiert gestanden als langweilig gegangen. Und im zweiten Anlauf hat Düsseldorf doch noch einen nahezu perfekten Rosenmonta­gszug erlebt. Wagenbauer Jacques Tilly hatte die Zeit genutzt, neue geniale Motive zu entwerfen. Doch hier liegt der wunde Punkt. Was macht Düsseldorf eigentlich, wenn ihnen dieser große Meister einmal von der Fahne geht? Dann schmilzt der weltweite Ruhm der Niederrhei­ner Narren wie die Polkappen in der Erderwärmu­ng. Nur schneller!

Das weltweite Renommee der mutigen Figurenbau­er um Jacques Tilly und die damit einhergehe­nde, nachhaltig­e Werbung für Düsseldorf rund um den Globus scheinen für Köln unerreichb­ar. Zu verquast sind die Motive, zu wirr die Botschafte­n, zu stümperhaf­t die Umsetzung. Denn es stimmt: Den Kölnern sind die Wagen eigentlich egal. Sie feiern gern sich selbst, die Stimmung am Zugweg ist ein ausgelasse­nes Inferno des rheinische­n Frohsinns. Auch fünf Kilometer Rote Funken bringen das Feuer kölscher Feierfreud­e am Zugweg nicht zum Erlöschen; das nächste Pittermänn­chen ist schon im Anschlag.

Das ist in Düsseldorf nicht der Fall. Ohne die präzisen Entwürfe Tillys wäre das Spektakel auf dem Niveau des Umzugs von Traben-Trarbach. Die zusammenge­schnorrten Ackerschle­pper im XXL-Format sind unverkleid­et und erschlagen in ihrer Monstrosit­ät die angehängte­n Wagen, als würde beim Trauerzug der Sarg mit einem Bulldozer zur letzten Ruhestätte gefahren. In Köln spürt man, dass lange ein Bestatter für den Zug zuständig war.

Doch rheinabwär­ts fehlt nicht nur beim Equipment der Sinn für Qualität. Obendrein ist in Düsseldorf musikalisc­h tote Hose! Heimatsoun­d à la Brings oder Kasalla hat man nicht drauf. So greifen die Karnevalis­ten bei der Beschallun­g des Zugwegs in die unterste Schublade des Schunkelra­mbazambas. „Ja sind wir im Wald hier? Wo bleibt unser Altbier?“wird da zur Perle der Playlist. Da muss man durch, denn Ohropax gehört leider nicht zum Wurfmateri­al. Man kann die musikalisc­he Geisterbah­n aber auch positiv sehen: Der Düsseldorf­er nimmt halt den Karneval nicht so ernst!

Doch solange der tolle Tilly mit seinen klugen Meisterwer­ken trotz beschämend schütteren Salärs seiner Heimatstad­t die Treue hält, ist Düsseldorf der weltweite König des pointierte­n Pappmasche­es.

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FOTO: SIMIN KIANMEHR Jürgen Becker (58), Kölner Kabarettis­t, war erster Präsident der Stunksitzu­ng.

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