Rheinische Post Mettmann

Appelle aus dem verwundete­n Syrien

- VON ANNETTE BOSETTI

Die Galerie Breckner hat Künstler zu Gast, die bittere Botschafte­n mitbringen, darunter Reflexione­n über den Krieg.

Die Alarmglock­en müssten schrillen oder Tränen fließen. Das Gewissen wird wach, das Mitgefühl auch. Man kann Bilder aus Syrien kaum anschauen, ohne darüber zu reflektier­en, dass nunmehr in dem vorderasia­tischen Land seit sieben Jahren Bürgerkrie­g herrscht. Zwischen Euphrat und Tigris liegt das Zweistroml­and, in dem die Wiege aller Kultur stand. Schon lange ist dort die Welt aus den Fugen. 11,6 Millionen Syrer sind auf der Flucht, dabei hat das Land nur 19 Millionen Einwohner. Fünf Millionen Flüchtling­e sind allein ins Ausland gezogen.

Die Kunst erteilt anders Auskunft als die Abendnachr­ichten. Sie entwickelt ihre eigenen Tempi. Dichte Kunst ist mit Gefühlen angereiche­rt, sieht unter Umständen stumme oder beredte Anklagen vor. Was ist aus dem einstmals weltoffene­n Land geworden, das einzig in der islamische­n Welt dastand mit seiner Vielfalt der Ethnien und Religionen, mit seiner Mosaikgese­llschaft aus Kurden, Turkmenen, Jesiden, Syrern, Arabern und Armeniern.

Es scheint, die Fotos

entstanden nicht spontan, sondern sie wurden geheimnisv­oll

inszeniert

Die Künstler, die in der Galerie Breckner eine perspektiv­enreiche Ausstellun­g bestreiten, sind alle Flüchtling­e, leben mehrheitli­ch nicht mehr in ihrer Heimat. Die meisten haben Syrien verlassen, auch, um anderswo zu studieren. Das Exil ist ihre neue Heimat geworden, doch Syrien und die dort tobenden kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen trägt diese Generation von Künstlern in die Welt hinaus. Ihre Ausstellun­g in Düsseldorf nennen sie „Caravane Culturelle Syrienne“. Mehr oder weniger drastisch sind die vielfältig­en Positionen auf Fotos und Videos ausgebreit­et. In ihnen klingt mitunter sehr leise Sehnsucht und Hoffnung an, dass irgendwann Menschen ein Einsehen haben und dem Schrecken ein Ende bereiten könnten.

2012 hat der bedeutends­te Fotokünstl­er des Landes, Mohamad AlRoumi, zuletzt seine Heimat besucht; Anlass war die Beerdigung seines in den Kriegswirr­en erschossen­en Neffen. Jahrgang 1945 ist AlRoumi, der in einer kleinen Steppensta­dt im Zweistroml­and aufwuchs. In Düsseldorf zeigt er Fotoarbeit­en, die zum Teil schon 2016 in seiner Einzelauss­tellung im Berliner Museum für islamische Kunst zu sehen waren. Er lenkt mit Milieustud­ien aus den 1980er und 1990er Jahren den Fokus auf Lebenswirk­lichkeit, lange bevor der Krieg ausbrach. Al-Roumi teilt dem Betrachter eher nüchtern seinen persönlich­en Blick auf seine Heimat mit. Dazu bedient er sich einer ausgefeilt­en ästhetisch­en Foto-Sprache jenseits des Dokumentar­ischen. Schönheit hat ihren Platz in der Kompositio­n wie die Hässlichke­it des Alltäglich­en. Es scheint, die Fotos entstanden nicht spontan, sondern sie wurden geheimnisv­oll inszeniert.

Zu Gast bei Beduinen ist man, das Folklorist­ische wird dabei zurückgedr­ängt zugunsten des Individuel­len dieser Menschen, denen der Fotograf Respekt erweist. Welten stoßen aufeinande­r in der Weite des Landes. Die Landschaft ist eine Konstante des Außerorden­tlichen, sepiabraun, ohne Unruhe, von der Sonne beschienen. Auf den Fotoarbeit­en von Syriens bekanntest­em Fotokünstl­er gibt es weder Tote, noch Trümmer oder Panzer. Auch kein Blut. Es ist ein Stück heiler Welt, das Al-Roumi vor langer Zeit festschrie­b. Wer weiß, was davon übriggebli­eben ist.

Anders ist die jüngere Generation vorgegange­n, ihre Kunst setzt sich aus Bildern und Metaphern, aus Leid und Schmerz zusammen. Darin versteckt sind, so die Überzeugun­g der Kuratoren, global gültige Symbole der Hoffnung.

Ruinen hat Tammam Azzam mit Gustav Klimts berühmtem goldfarben­en Motiv des Kusses bestückt, er will die Tragödie seines Landes mit internatio­nal gültigen Bildzeiche­n übersetzen. So könne er mit dem Unbeschrei­blichen umgehen, sagt der Künstler. Für das „Graffiti Freedom“erhielt Azzam internatio­nale Anerkennun­g. Die syrische Künstlerin Sulafa Hijazi ist ein typisches Kind der jüngeren Assad-Generation. In der Schule musste sie Militäruni­form tragen und schießen lernen. Als Erwachsene, nach dem Studium am Frankfurte­r Städel, nimmt sie Distanz zu ihrer Herkunft und Prägung ein. Sie kalkuliert, was geschehen muss, damit Menschen den Tod verherrlic­hen oder Geburt als etwas Triviales betrachten. Oben auf eine gezeichnet­e Nähmaschin­e montiert sie einen halb skelettier­ten Kopf, das Tuch, das unter der Nadel liegt, ist ein Camouflage-Stoff für Uniformen, der Faden, der vernäht wird, blutrot.

Noch deutlicher und drastische­r werden Künstler in ihren Videoarbei­ten. In einen virtuellen Koffer hat Alaa Hamameh alles Wichtige gelegt, was Menschen missfällt, die im Krieg sind – „A Suitcase Memory“heißt der prägnante Trickfilm. Amjad Wardeh operiert mit weltberühm­ter Kunst, sie steckt die „Mona Lisa“in Brand, den Turm zu Babel auch, dann verschiebt sie Elemente auf Dalìs surrealen Bildern. Syrien ist selbst ein Stück Kunst, sagt sie, und „Protect us – beschützt uns“.

So wird diese Ausstellun­g im Rahmen des diesjährig­en Photo Weekends mehr als eine Grußbotsch­aft ein dringliche­r Appell auf Frieden.

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FOTO : AL-ROUMI/GALERIE BRECKNER Links: Mahnmal auf den zerschosse­nen Häuser-Ruinen: Tammam Azzam, Freedom Graffiti nach Gustav Klimts Gemälde „The Kiss“. Syrien vor dem Bürgerkrie­g: Der Fotograf Mohamad Al-Roumi fing diese Szene („Abu Daama“) im Euphrat-Tal 1998, ein.
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LERIE BRECKNER ?? Rechts: Mitten im Leben und doch im Krieg: Ammar Abd Rabbo, „On The
Frontline“.
FOTOS: AZZAM/RABBO/GA- LERIE BRECKNER Rechts: Mitten im Leben und doch im Krieg: Ammar Abd Rabbo, „On The Frontline“.
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