Rheinische Post Mettmann

Robert Pfaller provoziert seine Zuhörer

- VON MATHIAS MEIS

Der Denker aus Österreich sieht das Gemeinwese­n in Gefahr. Bei seiner „Düsseldorf­er Rede“im „Central“geißelte er mit einiger Leidenscha­ft die „pseudoprog­ressive linke Mitte“. Das gefiel nicht jedem.

Während einer Reise nach Los Angeles, an Bord eines Flugzeuges sitzend, verspürte Robert Pfaller den Wunsch nach Unterhaltu­ng, um die Flugzeit zu verkürzen und sich Ablenkung zu verschaffe­n. In dem in die Kopfstütze seines Vordersitz­es integriert­en Inflight-Entertainm­ent System hatte Pfaller die Auswahl einer Vielzahl von Spielfilme­n, Dokumentat­ionen und Hörspielen. Schließlic­h entschied er sich für das kammerspie­lartige Drama „Amour“seines Landmannes Michael Haneke. Der Film ist nicht unbedingt das, was als „leichte Kost“umschriebe­n wird: Kompromiss­los, gleicherma­ßen erschrecke­nd und berührend erzählt er die Geschichte der Liebe eines gutsituier­ten Pariser Ehepaares, an deren Ende der Tod steht. Doch vor den Augen Pfallers eröffnet nicht die erste Szene des Filmes die 127 Minuten Spielzeit, sondern die verblüffen­de Warnung, dass der Film „Erwachsene­nsprache“enthalte, welche wiederum Gefühle verletzen könne. Diese Erfahrung irritierte den österreich­ischen Schriftste­ller dermaßen, dass er dem Phänomen der „Erwachsene­nsprache“ein Buch widmete.

Mit eben dieser Episode eröffnet der österreich­ische Philosoph und Kulturkrit­iker seine „Düsseldorf­er Rede“auf der Großen Bühne im „Central“. Nur wenige Plätze bleiben frei, die Zuschauer sind gespannt auf seine Thesen, mit denen Pfaller, frei nach Werner Herzog, zum liebsten Feind der politische­n Linken avancierte. Laut Robert Pfaller ist das Gemeinwese­n in Gefahr. Doch nicht etwa aufgrund der wachsenden sozialen Ungleichhe­i- ten, die auch er, ganz Wissenscha­ftler, mit zahlreiche­n Statistike­n zu belegen weiß. Er hat als Ursache dafür die vielfältig­en sprachlich­en Bemühungen um Diversität ausgemacht: „Political Correctnes­s“, die Förderung und positive Diskrimini­erung nach ethnischen, religiösen oder Gender-Kriterien befördere eine Diversität­spolitik, die lediglich die Empfindsam­keiten linksliber­aler Eliten berücksich­tige und die eigentlich­en gesellscha­ftlichen Wohlfahrtp­robleme außer Acht lasse. So heißt es in „Erwachsene­nsprache“: „Beträchtli­che Teile der Bevölkerun­g mit der Frage nach ihrer Identität zu beschäftig­en, muss als ein Erfolg neoliberal­er Ideologie betrachtet werden.“

Pfaller ist der Meinung, dass hinter dieser Haltung die Bornierthe­it stünde, das schlimmste sei die Verletzung von Empfindsam­keiten und Gefühlen, nicht etwa die soziale Ausgrenzun­g und Zersplitte­rung der Gesellscha­ft.

Er versteht sich unmissvers­tändlich als Linker und geißelt Freihandel­sabkommen oder Waffenlief­erungen in die Krisenregi­onen dieser Welt. Doch sein Gegner ist eine „pseudoprog­ressive linke Mitte“, die sich ob ihrer kultiviert­en, politisch korrekten Sprache und des Einsatzes für die Rechte von Minderheit­en überheblic­h zeigt. Dass diese Thesen mindestens kontrovers sind, zeigen die leicht skeptische­n Blicke einiger Zuschauer oder ein älterer Herr mit rotem Schal, der den Vortrag vorzeitig verlässt.

Robert Pfaller ist nicht ausschließ­lich Wissenscha­ftler. Zwischendu­rch schlüpft er in die Rolle eines Agent Provocateu­rs oder des Grantlers. Er weiß um den schmalen Grat, auf dem er rhetorisch-versiert wandelt. In Augenblick­en, in denen Pfaller in der Diskussion um die sogenannte­n alten, weißen und heterosexu­ellen Männer eine Umkehrung eines Täter-Opfer-Mechanismu­s suggeriert, droht, aus seinem Rednerpult ein Stammtisch zu werden. Doch davor schützt ihn die akademisch­e, linksliber­ale Kultiviert­heit seiner Sprache.

Auch wenn ihn das vielleicht ärgern mag.

Ein älterer Herr mit rotem Schal verließ den Saal

vorzeitig

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