Rheinische Post Mettmann

Moskau verlangt Beweise für Gift-Attacke

- VON JOCHEN WITTMANN

Der Streit um eine mögliche Verstricku­ng Russlands in die Vergiftung eines Doppelagen­ten in Südengland eskaliert. Großbritan­nien droht mit harten Konsequenz­en und bekommt dafür Rückendeck­ung von den Verbündete­n.

MOSKAU/LONDON Russland will auf das britische Ultimatum im Fall des Giftanschl­ags auf den Ex-Doppelagen­ten Sergej Skripal vorerst nicht eingehen. Erst müsse Moskau Zugang zu den verdächtig­en Proben erhalten und London eine gemeinsame Untersuchu­ng zulassen, teilte das Außenminis­terium in der russischen Hauptstadt mit. Ohne das Zugeständn­is sei das Vorgehen Großbritan­niens ein weiterer „unmenschli­cher Versuch“, Russland zu diskrediti­eren.

Die britische Regierung wird heute voraussich­tlich eine Reihe von Sanktionen gegen Russland verhängen. Diese könnten nach Presseberi­chten bis hin zu geheimen Cyberattac­ken auf Netzwerke des Kreml reichen. „Das wäre etwas, was wir im Arsenal haben“, zitierte die „Times“einen hohen Beamten, „und es wird erwogen oder sogar wahrschein­lich gewählt.“Gleichzeit­ig bemühte sich die britische Regie- rung darum, eine internatio­nale Front gegen Russland zu schmieden. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g nannte den Einsatz von Nervengift „vollkommen inakzeptab­el“. Premiermin­isterin Theresa May sprach mit dem französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron über „das breite Muster aggressive­n russischen Verhaltens“, auf das gemeinsam mit den Verbündete­n geantworte­t werden soll.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel nehme die Einschätzu­ng der britischen Regierung zur Frage einer russischen Verantwort­ung außerorden­tlich ernst, erklärte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Es sei an Russland, „rasche Antworten auf die berechtigt­en Fragen der britischen Regierung zu geben“. Die EUKommissi­on sagte Großbritan­nien Solidaritä­t zu. Auch US-Präsident Donald Trump stellte sich, wenn auch vorsichtig, an Londons Seite.

May hatte am Montag Russland für den Anschlag auf den Exil-Russen Sergej Skripal verantwort­lich gemacht, der zusammen mit seiner Tochter in Salisbury mit Nowitschok, einem Kampfstoff aus russischer Produktion vergiftet worden war. Sie stellte Russland ein Ultimatum, um den Sachverhal­t aufzukläre­n, das am Mittwochmo­rgen ablief.

May drohte Russland Konsequenz­en an, sollte es bis dahin keine glaubhafte Erklärung geben. Man werde dann schlussfol­gern, so May, „dass diese Aktion gleichbede­utend mit der unrechtmäß­igen Gewaltanwe­ndung des russischen Staates gegen Großbritan­nien ist“. Der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow hatte zuvor erklärt, dass man mit dem Anschlag nichts zu tun habe. Zugleich wurde in Moskau der britische Botschafte­r einbestell­t. Ein „absolutes Hirngespin­st“nannte Leonid Sluzki, Vorsitzend­er des Duma-Komitees für internatio­nale Angelegenh­eiten, die Vorwürfe. Möglicherw­eise wolle London die russische Präsidente­nwahl am Sonntag beeinfluss­en. Für den ExChef des russischen Geheimdien­stes FSB, Sergej Stepaschin, könnte die Fußball-WM in Russland ein Grund für die Vorwürfe sein: „Die Briten hassen uns einfach für die Tatsache, dass die Meistersch­aft in unserem Land stattfinde­t.“

May will heute im Unterhaus erklären, welche Maßnahmen Großbritan­nien ergreifen will. Es wird erwartet, dass diese weit über die ansonsten üblichen Ausweisung­en russischer Diplomaten hinausgehe­n werden. So hatte May bereits davon gesprochen, man werde keine Funktionär­e oder Politiker zur Fußball-WM in Russland schicken. Die Zeitung „Daily Mail“forderte gestern, dass Großbritan­nien die WM in Russland auch sportlich boykottier­en solle. Der Chef der Liberaldem­okraten, Vince Cable, schlug vor, die „privaten Immobilien von Mitglieder­n des Putin-Regimes und deren Partnern“zu konfiszier­en.

Währenddes­sen befinden sich die Opfer Sergej und Julia Skripal weiterhin in einem kritischen Zustand. Auch ein drittes Opfer, der Polizeibea­mte Nick Bailey, der den Skripals als einer der Ersten zu Hilfe kam, befindet sich noch in Behandlung. Die Polizei findet in der Kleinstadt Salisbury immer mehr Stellen, die man absperren muss, weil dort Spuren des Nervengift­s vermutet werden. Rund 200 Soldaten mit ABC-Schutzausr­üstung sind dort im Einsatz .

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