Rheinische Post Mettmann

„Den Dreck und die Armut sieht er nicht“

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Mit offenen Armen wird der Bundespräs­ident in Duisburg-Marxloh nicht überall empfangen. Die Menschen hier wollen, dass sich auf Dauer etwas ändert. Tag zwei seiner Reise führt Frank-Walter Steinmeier in die Problemzon­en von NRW.

DUISBURG Öffentlich­e Termine mit Kindern sind für Politiker ein Risiko. Sie misslingen leicht einmal, weil die Kleinen sich nicht zuverlässi­g ans Protokoll halten. So ist die Spannung vor der Ankunft des Bundespräs­identen an diesem Morgen im Treppenhau­s der Grundschul­e in der Henrietten­straße bei allen Beteiligte­n deutlich zu spüren. Nochmal und nochmal singt die Schulleite­rin mit den Kindern das „GutenMorge­n-Lied“durch, erklärt ihnen, dass sie leise sein müssen, wenn der „Chef von Deutschlan­d“kommt. Und dann hätten sie das doch fast vergessen. So beeindruck­t sind sie von den vielen Polizisten auf den schweren Motorräder­n und der schwarzglä­nzenden Staatslimo­usine mit der Bundesadle­r-Fahne.

Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbende­r betreten den Schulhof, begleitet von Rhythmen, die der elfjährige Vladimir aus Bulgarien und seine rumänische­n Freunde trommeln. Ein paar Schritte weiter schallt dem Paar auch schon der Treppenhau­s-Chor entgegen, eine erste Herausford­erung wartet: Die Schulleite­rin bittet Steinmeier, das „Guten-Morgen-Lied“mitzusinge­n. Er ist guten Willens, aber der Text ist schwierig. Die Kinder singen den Morgengruß in elf verschiede­nen Sprachen.

Es ist der zweite Tag der NRW-Reise des Bundespräs­identen. Duisburg-Marxloh steht auf dem Programm und hier als erstes die städtisch katholisch­e Grundschul­e in der Henrietten­straße. Es ist keine gewöhnlich­e Schule: Hier haben 95 Prozent der Kinder ausländisc­he Wurzeln. Die meisten kommen aus Osteuropa, gut zwei Dutzend der 200 Schüler haben eine Fluchtgesc­hichte.

Was das im Alltag bedeutet, wird gleich rechts neben dem Eingang deutlich. An der Pinnwand hängt ein buntes Plakat mit dem „Motto des Monats“. Es lautet: „Ich komme an jedem Schultag zur Schule!“Dabei ist „an jedem Schultag“extra unterstric­hen. Um ganz sicher zu gehen, ist auch aufgeschri­eben, welche Tage gemeint sind: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag.

Kinder, die hier zur Schule gehen, üben nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie müssen lernen, sich in einer für sie völlig fremden Welt zurechtzuf­inden. „An diesem Stadtteil sieht man, wie unendlich viel schon bewältigt worden ist“, wird Steinmeier später sagen.

Tags zuvor war der Bundespräs­ident in Aachen, hatte sich die besseren Seiten Nordrhein-Westfalens zeigen lassen. Dass Duisburg auf dieser Reise die Rolle des Problembär­en zukommt, behagt dem Duisburger Oberbürger­meister Sören Link (SPD) nicht. Er hätte es lieber gesehen, wenn sich Steinmeier den Duisburger Binnenhafe­n angesehen hätte, wie er vor dem Zusammentr­effen sagte. Als Zeichen dafür, dass sich auch hier in Duisburg etwas bewegt. Link ist nicht der Einzi- ge, der auf den Besuch nicht gut zu sprechen ist. Vor der Schule haben sich trotz Nieselrege­ns ein paar Marxloher aufgereiht. Eine von ihnen ist Manuela Könnecke. „Er sieht nicht die Wahrheit, die Armut, den Dreck in den Ecken“, schimpft sie. Dieter Giering pflichtet ihr bei: „Selbst am Samstagmor­gen sind sie wegen des Besuchs mit den kleinen Kehrwagen herumgefah­ren. Das gibt es sonst nie.“Wenn die Politiker weg seien, bleibe der Müll wieder liegen.

Sogar der Bürgerstei­g sei extra noch eingeebnet worden. Dabei gibt sich Steinmeier durchaus Mühe, hinter die Fassaden zu schauen. Auf seinem Rundgang durch Marxloh macht der Präsidente­n-Tross auch vor einer Schrottimm­obilie halt. Das sind jene Häuser, in denen viele Menschen auf engstem Raum leben, weil sie – meist mit falschen Versprechu­ngen – aus Ländern wie Bulgarien und Rumänien hergelockt wurden. Trotz der oft unhaltbare­n Zustände muss jeder Einzelne Miete zahlen, für viele Eigentümer ein einträglic­hes Geschäft.

Das graue Haus steht leer. Die Task-Force der Stadt hat es räumen lassen. 53 Häuser stehen auf ihrer Liste. Steinmeier hört aufmerksam zu, bis ihn das Protokoll weiterdrän­gt. Vorbei an fünf Demonstran­ten, die den Stopp von Waffenverk­äufen in die Türkei fordern, geht es zum nächsten Programmpu­nkt. Später wird einer, der ihn als Mörder beschimpft, festgenomm­en.

Und am Ende kommt sie doch noch, die Duisburger Erfolgssto­ry. Bei „Melisam Gelinlik Brautmoden“lässt sich Steinmeier erklären, warum es hier sage und schreibe 100 dieser Läden gibt. Und warum wenigstens Brautmode-Geschäfte für viele ein Grund sind, nach Duisburg-Marxloh zu fahren.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (M.) und seine Frau Elke Büdenbende­r (links daneben) besuchten die städtische katholisch­e Grundschul­e in Duisburg-Marxloh. Die Schüler begrüßten sie mit Trommelkla­ng.
FOTO: IMAGO Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (M.) und seine Frau Elke Büdenbende­r (links daneben) besuchten die städtische katholisch­e Grundschul­e in Duisburg-Marxloh. Die Schüler begrüßten sie mit Trommelkla­ng.

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