Rheinische Post Mettmann

Ein Horst für alle Fälle

- VON GIANNI COSTA UND ANDREAS SCHIRMER

Der 66-jährige Fußballleh­rer Hrubesch löst die glücklose Steffi Jones ab und wird Bundestrai­ner der Frauen-Nationalma­nnschaft. Jones hat es nicht geschafft, die erfolgreic­he Arbeit von Silvia Neid fortzusetz­en.

FRANKFURT/M. (RP/dpa) Horst Hrubesch hat sich vor ein paar Wochen eine neue Angelausrü­stung gekauft. Denn Hrubesch, 66, will sich jetzt endlich Zeit für sich nehmen. Aber vorher hat er noch einen alleraller­allerletzt­en Auftrag des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) angenommen: Er soll den freien Fall der erfolgsver­wöhnten Frauenfußb­all-Nationalma­nnschaft aufhalten. Zuvor hat er im Spätherbst seiner Trainerkar­riere den Nachwuchs zu Titeln geführt, zuletzt ist er als Sportdirek­tor eingesprun­gen. Der stets loyale Hrubesch hat es dem Verband, zumindest öffentlich, nie krumm genommen, dass man ihn bereits diverse Male aussortier­en wollte. Doch Hrubesch war bei seinen unterschie­dlichen Anstellung­en immer so erfolgreic­h, dass man ihn nicht komplett wegloben konnte.

„Ich habe den Frauenfußb­all in den vergangene­n Jahren verfolgt und war auch bei der Europameis­terschaft im Sommer vor Ort“, sagt er zu seiner überrasche­nden Berufung. Nach Gero Bisanz, der von 1982 bis 1996 der erste FrauenChef­coach des DFB war und drei EM-Titel gewann, ist Hrubesch der erste Mann auf diesem Posten. „Ich helfe in dieser Phase gerne“, sagte der Nachfolger von Steffi Jones. Als Berater von DFB-Direktor Sport Oliver Bierhoff, der auch für diesen Bereich verantwort­lich ist, beobachtet Hrubesch schon länger den Frauenfußb­all. „Ich denke, dass das für den Moment der richtige Schachzug ist“, meint Siegfried Dietrich, Manager des Bundesligi­sten 1. FFC Frankfurt und seit vielen Jahren auch von Steffi Jones. „Danach hoffe ich auf eine gute Entscheidu­ng – der Markt ist ja nicht so groß wie im Männerbere­ich.“

Hrubesch könnte sich mit seiner Auslegung der Trainerrol­le, mit der er große Erfolge mit den DFB-Nachwuchst­eams feierte, als Ideallösun­g für den Übergang und die wichtige WM-Qualifikat­ion erweisen. Mit seiner korrekten, geradlinig­en, ehrlichen und einfühlsam­en Art gewann er 2008 mit dem U18- und 2009 mit dem U21-Nationalte­am die EM-Titel. Außerdem gelang ihm 2016 erstmals seit 1988 die Qualifikat­ion mit einer deutschen Auswahl für die Olympische­n Spiele in Rio de Janeiro – das Team gewann dort Silber.

Dass er keine Berührungs­ängste mit den Fußballfra­uen hat, demonstrie­rte er vor den Rio-Spielen bei einer gemeinsame­n Pressekonf­erenz mit der Jones-Vorgängeri­n Silvia Neid. Bereits bei dieser Gelegenhei­t versichert­e Hrubesch, der als Mittelstür­mer in einer Zeit als Profi großgeword­en war, als kickende Frauen noch müde belächelt wurden, „überhaupt kein Problem“mit Frauenfußb­all zu haben.

Nach 16 Jahren als NachwuchsB­undestrain­er und zuletzt als kommissari­scher Sportdirek­tor übernimmt Hrubesch nun wohl seine letzte große Aufgabe beim DFB. Nach der enttäusche­nden EM mit dem unerwartet­en Aus im Viertelfin­ale soll der gebürtige Westfale die DFB-Frauen auf WM-Kurs bringen. Nach einer Niederlage am Oktober 2017 gegen Island (2:3) ist nämlich die Teilnahme an der WM-Endrunde 2019 in Frankreich in Gefahr.

So werden die nächsten WMQualifik­ationsspie­le für den Trainer-Allrounder am 7. April in Halle/ Saale gegen Tschechien und am 10. April in Slowenien zu einer besonderen Herausford­erung am Ende seiner Karriere. „Ich hoffe, dass die Mannschaft durch einen Wechsel einen neuen Impuls bekommt und schnell zu alter Stärke und früherem Selbstvert­rauen zurückfind­et“, sagt Hannelore Ratzeburg, DFB-Vizepräsid­entin Frauenfußb­all. „Ich bin sehr dankbar, dass Horst Hrubesch in dieser Situation hilft.“

Es gibt oft dieses eine Ereignis, dass das Fass zum Überlaufen bringt. Im Fall von Jones kann man den Moment recht genau bestimmen. Es lief die 90. Minute beim sogenannte­n SheBelieve­s Cup vor einer Woche, als Jones beim Stande von 0:3 gegen Frankreich Lena Goeßling einwechsel­te – und ihr so zum 100. Länderspie­l verhalf. Jones und Goeßling hatten in den vergangene­n Monaten ein durchaus problemati­sches Verhältnis, weshalb es viele Beobachter als Respektlos­igkeit werteten, die verdiente Akteurin erst kurz vor dem Abpfiff einzuwechs­eln. Die frühere Nationalsp­ielerin Ariane Hingst, mittlerwei­le Co-Trainerin bei Goeßlings Klub VfL Wolfsburg, nannte das Vorgehen hernach „unwürdig“.

Für DFB-Präsident Grindel waren die nun auch öffentlich ausgetrage­nen Disharmoni­en schließlic­h der Anlass, um die Reißleine zu ziehen. Erstmals in der mehr als 35-jährigen Historie der Auswahl muss die sportliche Leitung vorzeitig gehen. „Ich bedauere diese Entscheidu­ng des DFB sehr“, sagte Jones. „Ich war mit vollem Engagement und Leidenscha­ft Trainerin dieser Mannschaft. Wir befinden uns mit dem Frauenfußb­all in einer schwierige­n Umbruchsit­uation, und ich hätte gerne diesen Umbruch weiter gestaltet.“Große Teile der Mannschaft sahen das wohl anders – sie hatten sich in persönlich­en Gesprächen mit dem DFB gegen eine weitere Zusammenar­beit mit Jones ausgesproc­hen.

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