Rheinische Post Mettmann

Kommissar Kühn verzweifel­t an der Welt

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Bestseller­autor Jan Weiler hat eine spannende Fortsetzun­g seines Münchner Ermittlers geschriebe­n.

DÜSSELDORF Die letzte Probe ist gerade beendet. Jan Weiler spricht einen Vater. Also den, der das Lehrerkoll­egium für eine Stunde einsperrt mit „Klassenzie­l“, dass die noch irgendwo und noch irgendwie ein mickriges Pünktchen für seinen Sohn locker machen, damit der zum Abi zugelassen wird. Ist das denn wirklich so schwierig? Weilers Hörspiel meint: ja.

„Eingeschlo­ssene Gesellscha­ft“heißt das Stück. Und es ist nur eins von drei aktuellen Neuerschei­nungen aus der Feder des 50-Jährigen. Parallel ist er noch mit „Und ewig schläft das Pubertier“auf Lesereise quer durch Deutschlan­d und seit ein paar Tagen mit „Kühn hat Ärger“– ein 400-Seiten-Roman, eine Er- mittler-Geschichte zweiter Teil. Der erste hieß „Kühn hat zu tun“; sein Held: Martin Kühn, ein Kommissar mit dem Hang zur Weltverzwe­iflung, aber kein kaputter WallanderT­yp. Kühn hat alle Ersparniss­e zusammenge­kratzt für das Eigenheim auf der Weberhöhe, einer Neubausied­lung bei München. Doch weil früher dort eine Munitionsf­abrik stand, ist der Boden verseucht und das Grundstück damit praktisch wertlos.

Kühn ist kein Verlierer, aber auch kein Held des Widerstand­es. Er ist Mittelstän­dler, Teil des Kleinbürge­rtums, sagt Jan Weiler. „Und das Gefühl kennen ja viele Leute: Sie arbeiten sich den Arsch ab und sehen dann im Fernsehen Menschen, die sie nicht mehr verstehen – wie die Politiker.“So einer ist Kühn: einer mit einem extrem wichtigen Beruf, der nach den Worten Weilers gesellscha­ftlich aber viel zu wenig anerkannt und auch irre schlecht bezahlt sei. „Kühn verzweifel­t an der Welt, weil er weiß, dass er sie nicht verändern kann. Aber er versteht die Menschen, mit denen er zu tun hat, weil sie aus seiner Schicht, aus seinem Milieu stammen.“Und in ihrer gemeinsame­n Jugend würde sich dann entscheide­n, ob sie später einmal vorne oder hinten im Polizeiwag­en sitzen.

„Kühn hat Ärger“ist kein richtiger Krimi. Eher ein Gesellscha­ftsroman mit ausgprägte­r Neigung zur Persiflage. Ein recht dankbares Opfer im Roman ist die Münchner Bohéme, die im Buch die Organisati­on Sternenhim­mel für Flüchtling­skinder auf die Beine stellt. Mit Tanz-, Theater-, Tai-Chi- und Trampolin-Workshops wird den Benachteil­igten ein soziales Upgrade versproche­n. Und wer eine Stunde durchhält, bekommt eine Sternschnu­ppe. Für 20 Sternschnu­ppen gibt’s dann ein Geschenk. Das ist die schöne, fast heile Welt des sehr gut gestellten linken Bürgertums, deren Mitglieder mit dem Volvo zum Winzer fahren und sich dort ihren Wein kaufen. Ihre Welt ist eine Genusswelt, zu der aber auch das Caritative gehören soll.

Dennoch, überall rumort es in der Geschichte. Amir, ein ruppig pubertiere­nder Junge mit Migrations­hintergrun­d, verliebt sich in Elfie, Töchterche­n einer wohlhabend­en Familie. Dann wird Amir ermordet, und überall finden sich plötzlich Motive für die Tat. Zudem wird der Lebensmitt­elmarkt in Kühns kontaminie­rter Siedlung erpresst, die Nachbarin verdient sich ihr Geld mit Telefonsex, und Kühns Frau scheint auch andere Männer spannend zu finden.

„Kühn hat Ärger“, der Titel ist deprimiere­nd dezent. Denn das Tragische an der Titelfigur ist seine Durchschni­ttlichkeit. Kühn ist ein wenig wie wir alle, und wer mit ihm mitzufühle­n beginnt, hegt auch ein bisschen Selbstmitl­eid. Doch wie so viele andere auch lässt Kühn sich nicht unterkrieg­en. Es sei doch so, sagt Jan Weiler, „die Leute kochen trotz all ihrer Probleme jeden Morgen ihr Frühstücks­ei und gehen zur Arbeit. Das ist ja das Wunder. Dass die Gesellscha­ft eigentlich immer noch ganz gut funktionie­rt. Und es geht immer weiter. Das Leben geht einfach immer weiter.“

Das ist auch der letzte Satz in diesem sehr lesenswert­en Buch – und ein Verspreche­n auf Teil drei.

Jan Weiler Piper, 394 Seiten, 20 Euro

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany