Rheinische Post Mettmann

Zurück zur Rassentren­nung

- VON FRANK HERRMANN

In Alabama und anderen amerikanis­chen Südstaaten arbeiten weiße Aktivisten, die nichts von gemeinsame­n Schulen für Schwarz und Weiß halten, mit allerlei verwaltung­stechnisch­en Tricks daran, die Uhren zurückzust­ellen.

Terrence Roberts erinnert sich noch gut an den Tag, an dem sie Dr. Martin Luther King zu Onkel Martin gemacht haben, zu Ernest Greens Onkel Martin. Green wollte den Prediger unbedingt dabeihaben bei der feierliche­n Zeugnisübe­rgabe seiner Schule, im Quigley-Stadium in Little Rock, zumal der Anlass ein historisch­er war. Als erster Schwarzer in der Geschichte Little Rocks, als erster Schwarzer überhaupt in einer größeren Stadt des amerikanis­chen Südens, hatte der 18-Jährige seinen Abschluss an der Central High School gemacht.

Man schrieb das Jahr 1958, der Kongress in Washington rief die Weltraumbe­hörde Nasa ins Leben, der Süden aber stand noch immer im Zeichen der Rassentren­nung. Greens Zeugnis also sollte gebührend gefeiert werden. Vier Jahre nach dem Urteil des Obersten Gerichtsho­fs, der im Fall Brown versus Board of Education entschied, dass getrennte Schulen für Weiße und Schwarze der Verfassung widersprec­hen, war es der nächste Meilenstei­n der Bürgerrech­tsbewegung. Nach den Regeln der Schule, erzählt Roberts, durften aber nur Verwandte erscheinen. „Da haben wir Dr. King eben zu Onkel Martin erklärt“, sagt er und freut sich über das Gelächter im Saal.

East Cobb Middle School, eine Schule in Marietta, im wohlhabend­en Speckgürte­l um Atlanta. Roberts, ein drahtiger Mann mit blank polierter Glatze, ist gekommen, um über die Ära der Segregatio­n zu reden. Als Erstes lässt er historisch­e Bilder über eine Leinwand flimmern. Little Rock, Arkansas, im Herbst 1957. Roberts, damals 15, steht mit aufgekremp­elten Hemdsärmel­n zwischen behelmten Soldaten. Sie sollen ihm eine Schneise durch eine wütende Menge weißer Südstaatle­r bahnen, in deren Augen Schwarze an der Central High School nichts verloren haben.

„Rassen zu mischen, ist Kommunismu­s“, steht auf einem Plakat. „Geht zurück nach Afrika!“auf einem anderen. Neun schwarze Teenager, die „Little Rock Nine“, sehen sich mit mehreren Hundert zornigen Demonstran­ten konfrontie­rt. Eine der neun, Elizabeth Eckford, wird nicht nur beschimpft, sondern auch angespuckt. Seine Mutter, erinnert sich Roberts, sei von einem Unbekannte­n angerufen worden, der ihr mitteilte, dass ihr Sohn verprügelt worden sei und in Lebensgefa­hr schwebe. „Sie eilte zur Schule, und da war ich, mir fehlte nichts. Je- mand hatte sich einen makabren Spaß erlaubt.“

Roberts lebt heute als Unternehme­nsberater im kalifornis­chen Pasadena. Er ist beneidensw­ert fit für seine 76 Jahre, und wenn er Revue passieren lässt, was damals in Little Rock geschah, verfällt er bisweilen in einen spöttische­n Ton. „Wow, die Armee auf meiner Seite! Wer hätte das gedacht!“Auf die Frage, welche Fortschrit­te das Land seither gemacht habe, zitiert er Malcolm X, den feurigen Prediger schwarzen Selbstbewu­sstseins, der Kings gewaltlose­n Widerstand als zu brav empfand. „Du hast mir ein acht Zoll langes Messer in den Rücken gestoßen. Jetzt hast du es um zwei Zoll herausgezo­gen. Und das nennst du Fortschrit­t?“

90 Prozent der Amerikaner, so sagt Roberts ernst, hätten sich für eine Art Monokultur­alismus entschiede­n. Sie redeten sich ein, dass man sich unter seinesglei­chen wohler fühle. Das spüre man auch an den Schulen, wo der Trend vielerorts in die falsche Richtung gehe, zurück zur Rassentren­nung.

Gardendale, eine Kleinstadt nahe Birmingham, steht für solides Mittelschi­chtenmilie­u. Gepflegte Parks, viele Kirchen, typisches Süd- staatenamb­iente. Der Stolz der Stadt ist die neue High School, deren Säulenport­al an einen griechisch­en Tempel erinnern soll. 2010 wurde die Schule eingeweiht, drei Jahre darauf tauchten Flugblätte­r auf. Sie zeigten ein blondes Mädchen, über dessen Kopf eine scheinbar unschuldig­e Frage schwebte. „Welchen Weg wird Gardendale wählen?“Die Frage sei, ob es sich ein Beispiel an Pleasant Grove, Center Point und Adamsville oder an Homewood, Hoover, Vestavia Hills und Trussville nehme. In den Südstaaten sind das chiffriert­e Botschafte­n. In Pleasant Grove, Center Point und Adamsville ist der Anteil von Afroamerik­anern an der Bevölkerun­g hoch, in Homewood, Hoover, Vestavia Hills und Trussville leben überwiegen­d Weiße.

Verteilt wurden die Flugblätte­r von einer Bürgerinit­iative, die wiederhole­n wollte, was andere vorgemacht hatten. Jede Gemeinde mit mehr als 5000 Einwohnern kann einen eigenen Schulbezir­k gründen, und genau das haben Homewood, Hoover, Vestavia Hills und Trussville getan. Es ging darum, weiße Schüler weitgehend von schwarzen zu trennen. Gardendale­s Bevölkerun­g besteht zu rund neun Zehnteln aus Weißen, die Schulen der Stadt werden zu etwa einem Viertel von Schwarzen besucht.

Manche sprechen euphemisti­sch von den „Bus Kids“, weil Letztere in gelben Schulbusse­n in die Stadt gefahren werden, während die Mütter und Väter von Gardendale ihre Kinder in aller Regel im eigenen Auto zum Unterricht bringen. Die Zahl der „Bus Kids“drastisch zu senken, darum ging es. Was Patrick Martin freilich nie zugeben würde.

Der Schulrat empfängt in einem nahezu leeren Büro, sichtlich überrascht, dass sich ein Reporter aus Übersee bei ihm blicken lässt. Man könnte vielleicht sagen, dass die Schuliniti­ative die Qualität des Unterricht­s steigern wolle. Man könnte auch sagen, dass sie die lokale Kontrolle zu stärken versuche, druckst er herum. Martin ist ein Unikum, ein Schulrat ohne Schule. Die Stadtverwa­ltung Gardendale­s setzte ihn ein, nachdem sie, ausnahmslo­s mit Weißen besetzt, für die Schaffung eines eigenen Schulbezir­ks gestimmt hatte. Und damit für die Trennung von dem Bezirk, zu dem man derzeit gehört, sprich: vom afroamerik­anischen Umland. Offenbar war sie überzeugt davon, dass niemand ihr Steine in den Weg legen würde. Womit sie nicht gerechnet hatte, waren Leute wie Ricky Reeves.

Reeves war lange beim Militär, im Vietnamkri­eg bei der Air Force. Man merkt es an seiner Art, in kurzen, präzisen Sätzen zu sprechen, ohne ein überflüssi­ges Wort. „Jemand musste sagen, hier hört es auf“, erklärt er, warum er vor Gericht zog. Als auch noch Gardendale dem Beispiel von Pleasant Grove, Center Point und Adamsville folgte, hatte er das Gefühl, dass es endgültig wieder zurückgehe­n sollte in die 60er Jahre. In eine Ära, in der im Jefferson County noch die Rassentren­nung herrschte. Reeves erzählt von Alene, seiner Frau, die nicht auf die nächstgele­gene Schule gehen durfte und stattdesse­n drei Kilometer weit zu einer Schule für Schwarze laufen musste. In die weißen Bildungsei­nrichtunge­n sei das Gros der Steuergeld­er geflossen, die schwarzen habe man links liegen lassen.

Seine Enkelin Kymiyah wird demnächst auf die High School wechseln, ihr will Reeves den Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten ersparen. Was würde sie wohl sagen, wenn ausgerechn­et 50 Jahre nach dem Mord an Martin Luther King die Uhrzeiger zurückgedr­eht werden? „Hinter all diesen Floskeln stehen rassistisc­he Stereotype. Vorurteile, das ist alles, was sie antreibt“, sagt er über die Schuliniti­ative.

Ein Berufungsg­ericht in Atlanta, zuständig auch für den Bundesstaa­t Alabama, hat es genauso gesehen. Der Vorstoß widersprec­he dem Verbot der Rassendisk­riminierun­g, urteilte es im Februar. Im März erklärte der Bürgermeis­ter von Gardendale, dass man den Richterspr­uch akzeptiere und nicht vor den Supreme Court in Washington ziehen werde: Man sei des Verfahrens müde. Den Steuerzahl­ern habe es gereicht, ihr sauer verdientes Geld für teure Anwälte draufgehen zu sehen, übersetzt es Ricky Reeves.

In North Smithfield, wo der Exsoldat lebt, ist der schwarze Mittelstan­d zu Hause. Es sind Leute wie Curtis Hammond, mit dem unsereiner ins Gespräch kommt, während er an einem Rasenmäher bastelt. Hammond war Ingenieur in einem Walzwerk, stolz erzählt er von Neuerungen, die auf seine Ideen zurückging­en. Wie es der Zufall will, stellt sich heraus, dass er einer der ersten Afroamerik­aner war, die auf die High School von Gardendale gingen, vor 48 Jahren.

Von einer schwarzen Schule auf eine weiße zu wechseln, erinnert er sich, „das war, als hättest du unter einer Brücke geschlafen und würdest in eine Villa umziehen“. Sein bester Freund sei ein Weißer gewesen, sie hätten bis heute Kontakt. Nur ändere das nichts an den alten Dämonen des Südens, schiebt er skeptisch hinterher. „Diese Ichschaue-auf-dich-herab-Mentalität, sie ist noch lange nicht tot.“

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