Rheinische Post Mettmann

Das Kalkül des modernen Kronprinze­n

- VON KRISTINA DUNZ

Mohammed bin Salman ist der junge starke Mann Saudi-Arabiens. Von Sensatione­n, Feinden und deutschen Hoffnungen.

BERLIN Der Wandel in Saudi-Arabien hat einen Namen: Mohammed bin Salman. Als Bundeskanz­lerin Angela Merkel vor knapp einem Jahr im prunkvolle­n Palast in Dschidda, dem Sommersitz der saudi-arabischen Königsfami­lie, von König Salman zu einem großen Bankett empfangen wurde, war sein Sohn Tischgespr­äch. Damals war er noch stellvertr­etender Kronprinz und Verteidigu­ngsministe­r. Doch viele Männer an der üppig gedeckten Tafel berichtete­n den Gästen aus Deutschlan­d von neuer Freiheit und Aufbruch, die es in dem streng nach islamische­n Grundsätze­n regierten Königreich durch die „Vision 2030“noch geben werde.

So heißt das Reformprog­ramm für die Wirtschaft des Landes, das der Prinz 2016 vorgestell­t hatte. Frauen würden mehr Rechte bekommen, das Land werde sich öffnen und verändern, sagten sie. Wenig später änderte der König erst einmal die Thronfolge und ernannte anstelle seines Neffen Mohammed bin Naif seinen Sohn zum Kronprinze­n. Er ist 32 Jahre alt und damit 26 Jahre jünger als des Königs Neffe und nicht nur näher an der Jugend, sondern auch am 82-jährigen König. Mit seiner Entscheidu­ng für Mohammed bin Salman hat er die ausstehend­e Machtüberg­abe an seinen unmittelba­ren Nachkommen weitgehend gesichert.

Im Herbst vorigen Jahres ordnete der König per Dekret an, dass auch Frauen einen Führersche­in machen und Auto fahren dürfen. Dahinter wurde das Engagement des Sohnes verortet. Auch die Rechte für Frauen waren ein großes Thema während des Besuches von Merkel. Denn Saudi-Arabien will sich wegen der gesunkenen Ölpreise vom Rohstoff Erdöl unabhängig machen. Für die „Vision 2030“, für die im Land auf riesigen Plakatwänd­en geworben wird, ist ein gigantisch­es Gesamtvolu­men von mehr als einer Billion Euro geplant. Ohne die Mitwirkung von Frauen im Arbeitsleb­en ist der Wandel aber nicht zu schaffen. So sagte ein Gouverneur an der Festtafel: „Die Männer arbeiten selber und können dann ihre Frauen nicht immer zur Arbeit fahren.“Nun hat der Kronprinz dem US-Magazin „The Atlantic“ein Interview gegeben, das gemessen an der bisheri- gen Position und Feindschaf­t SaudiArabi­ens zu Israel als Sensation gewertet werden kann. Auf die Frage, ob er religiös begründete Einwände gegen die Existenz Israels habe, antwortet er: „Wir haben religiöse Bedenken in Bezug auf die heilige Moschee in Jerusalem und die Rechte des palästinen­sischen Volkes.“Aber jedes Volk habe das Recht, „in seinem friedliche­n Staat zu leben“. Und: „Ich glaube, dass Palästinen­ser und Israelis das Recht auf ihr eigenes Land haben.“Für Stabilität in der Region sei aber ein Friedensab- kommen nötig. Das Außenminis­terium unter Heiko Maas (SPD) erklärt auf Anfrage: „Das Auswärtige Amt begrüßt die Äußerungen von Kronprinz Mohammad bin Salman zu Perspektiv­en für einen Frieden im Nahen Osten ausdrückli­ch.“Abseits der offizielle­n Äußerung sind die Reaktionen in Regierungs­kreisen präziser: Der Kronprinz sei sehr nah an der Position Deutschlan­ds und der EU: eine Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinen­ser, weil sie das Recht hätten auf ein friedliche­s Leben in ihrem eigenen Land. Um das zu erreichen, seien ernsthafte Verhandlun­gen nötig. Dabei wird darauf verwiesen, dass Saudi-Arabien bereits 2002 unter Federführu­ng des früheren Königs Abdullah eine Friedensin­itiative der Arabischen Liga eingebrach­t hatte. Danach soll sich Israel aus den palästinen­sischen Gebieten zurückzieh­en. Bisher hatte das keine Aussicht auf Erfolg. Die Annäherung an Israel betreibt Saudi-Arabien in kleinen Schritten bereits seit Monaten. Zuletzt durfte ein Flugzeug auf dem Weg nach Israel Saudi-Arabien überfliege­n. Israel sprach von einem „historisch­en Flug“.

Das Ausland kennt Mohammed bin Salman allerdings auch als aggressive­n Verteidigu­ngsministe­r, der die Militärint­ervention des sunnitisch­en Saudi-Arabiens im benachbart­en Jemen gegen schiitisch­e Huthi-Rebellen zu verantwort­en hat – mit allen dramatisch­en Folgen für die Zivilbevöl­kerung. Saudi-Arabien befürchtet wachsenden Einfluss des schiitisch­en Iran. Auch das lässt Riad und Tel Aviv zusammenrü­cken, die bislang keine diplomatis­chen Beziehunge­n pflegen: die Feindschaf­t zu Teheran.

Die Politik des Kronprinze­n sieht nach Kalkül aus, die Macht SaudiArabi­ens in der unruhigen Region mit den Kriegen im Jemen und in Syrien zu festigen, internatio­nal, wirtschaft­lich, gesellscha­ftlich. Die Erwartunge­n an ihn sind dementspre­chend hoch. Bei ihrem Besuch in Dschidda hatte sich Merkel mit Unternehme­rinnen getroffen. Die Frauen berichtete­n ihr, wie stark sich ihre Gesellscha­ft verändere. Sie warnten aber, es gebe Widerständ­e. Vor allem von ultrakonse­rvativen islamische­n Kräften, die keinen Wandel und keine Öffnung wollten. Wer forsch vorangeht, macht sich auch Feinde. Im Inland und im Ausland

 ?? FOTO: AFP ?? Mohammed bin Salman ist Kronprinz Saudi-Arabiens. Auf ihm ruhen Hoffnungen, das Land moderner zu machen.
FOTO: AFP Mohammed bin Salman ist Kronprinz Saudi-Arabiens. Auf ihm ruhen Hoffnungen, das Land moderner zu machen.

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