Rheinische Post Mettmann

In der „Königsklas­se des Straßenver­kehrs“

- VON PETER CLEMENT

LEVERKUSEN Knapp zwölf, mal 2,50, mal 3,05 Meter: Diese Maße lassen Männerherz­en höher schlagen, auch wenn das Gewicht der Dame mit 10.000 Kilogramm reichlich üppig ausfällt. Und auch der Name „MBO“klingt eher prosaisch als romantisch. Dennoch war der kleine Peter im Jahr 1968 sofort verliebt, als er mit solch einem herrlichen Bus der Linie 746 zum ersten Mal von der Haltestell­e Rotthäuser Weg bis Düsseldorf-Werhahn fuhr – eingekeilt auf einem Stehplatz an der Tür, aber fasziniert von den Kurven des Fahrzeugs und dem Busfahrer, der das überfüllte Gefährt steuerte, als gelte es, eine Ladung Nitroglyze­rin im wilden Westen ins nächste Fort zu transporti­eren, ohne dass die Kutsche in die Luft fliegt. Am Ende der Fahrt war sich der Junge sicher: „Mama, ich werde Busfahrer.“

48 Jahre später unter der Stelzenaut­obahn in Leverkusen ist sich der kleine Junge von damals nicht mehr ganz so sicher: Zu wuchtig fällt das Fahrzeug aus, zu klein wirkt auf einmal die Straße. Wäre da nicht Martin Mainczyk – das Experiment wäre schon vor der Fahrt aus Mangel an Mut beendet. Der 34-jährige Fahrlehrer strahlt jedoch eine derartige Ruhe und Souveränit­ät aus, dass man sich keine Blöße geben möchte. Außerdem scheint der Experte ebenfalls eine beinahe körperlich­e Beziehung zu seinem Fahrzeug zu pflegen. „Auf den Popo kommt es an“, sagt Mainczyk und lächelt: Zum einen, weil das Heck des Busses ausschwenk­t, zum anderen, weil der Motor dort sitzt und die 250 Pferdestär­ken, die mit der FünfGang-Schaltung vorne freigesetz­t werden, erst weit hinten auf die Straße bringt. Und damit dieser Popo nicht außer Kontrolle gerät, muss ein Fahrer vor allem lernen, mit Spiegeln zu rangieren. Eine erste spontane Zählung ergibt sechs verschiede­ne Innen- und Außenspieg­el – je nach Bus können es aber auch mehr sein.

Beruhigung sieht anders aus. „Keine Angst. Früh schalten, Kupplung langsam kommen lassen“, rät der Fahrlehrer – und schon geht es los. Die ersten Meter auf dem großen Parkplatz-Gelände unter der Leverkusen­er Stelze funktionie­ren hervorrage­nd. „Jetzt hochschalt­en“, sagt Mainczyk – und schon rappelt der Bus so heftig, dass ein Fahrgast, der lesen würde, keinen Buchstaben in seinem Buch oder der Zeitung mehr entziffern könnte. „Halb so schlimm“, beruhigt der Fahrlehrer: „Du hast lediglich den zweiten mit dem vierten Gang verwechsel­t.“

Vorsichtig lenken, dabei immer das Heck im Auge behalten, und so fahren, als würde man rohe Eier transporti­eren – das geht exakt so lange gut, bis das Stadion rechts im Blickfeld auftaucht und gleichzeit­ig vorne die Strecke ausgeht.

„Bis kurz vor der Bordsteink­ante warten, und dann schnell wenden“, weist Mainczyk an. Klappt nicht so ganz: Der Bus rumpelt über den Bordstein, fängt sich dann wieder – und der Fahrlehrer greift ins Steuer, um ihn wieder auf Spur zu bringen: „War doch gar nicht so schlecht fürs erste Mal“, lobt er trotzdem – „ jetzt stell dir aber vor, du fährst auf einem Alpenpass mit Gegenverke­hr durch solch eine enge Kurve, und in diesem Moment zupft ein Fahrgast an deinem Hemd und beschwert sich, die Musik sei so schlecht.“Kein Wunder, dass dieser Berufsstan­d sich deutlich von anderen Piloten der Landstraße abgrenzt. „Bus fahren“, sagt Mainczyk, „ist die Königsklas­se des Straßenver­kehrs.“

Und eine enorm gefragte dazu: Der Lehrgangsl­eiter in der Traditions-Fahrschule Westermann kann gar nicht so viele Busfahrer ausbilden, wie es Wünsche von Unternehme­n gibt. Die Vermittlun­gsquote liegt bei 98 Prozent, wie er sagt. Vor allem Umschüler nutzen die Möglichkei­t, den 10.000 Euro teuren Führersche­in zu einem Großteil gefördert zu bekommen. Sicher steuern allein reicht jedoch nicht: Wer in der Fahrschule Westermann Unterricht nimmt, bekommt auch Anweisunge­n im Hinblick auf soziale Kompetenze­n. Denn Busfahrer sind Repräsenta­nten ihres Unternehme­ns und müssen entspreche­nd souverän auftreten.

Geschäftsf­ührer August Westermann darf sich dabei als eine Art Pionier fühlen. Noch immer reicht sein Leistungss­pektrum weit über die Grenzen einer „normalen“Fahrschule hinaus. Oder wie Martin Mainczyk es ausdrückt: „Was nützt der beste Fahrer, wenn er nicht in der Lage ist, auf Wünsche seiner Fahrgäste einzugehen?“

Mit ein paar Schweißtro­pfen auf der Stirn, aber glücklich, geht die Probefahrt unter der Stelze zu Ende. Busfahrer – das ist die Haupterken­ntnis – verdienen gehörigen Respekt. Auch als Fahrgast werde ich das nie mehr vergessen.

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RP- FOTO: UWE MISERIUS Nicht aus der Ruhe zu bringen: Martin Mainczyk (links) gibt Peter Clement eine Unterricht­sstunde auf dem 10.000- Kilo- Linienbus.

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