Fluch und Segen von Arbeitszeitkonten
Arbeitszeitkonten bringen mehr Flexibilität – für Beschäftigte und Unternehmen. Das System birgt aber auch gesundheitliche und finanzielle Risiken für die Angestellten.
Viele Chefs bitten ihre Angestellten um einen Kredit in Form von Arbeitsstunden. Denn nichts anderes sind sogenannte Arbeitszeitkonten: Dort zahlt der Beschäftigte seine Überstunden über einen kurzen oder längeren Zeitraum ein. Später kann er sich dafür eine Auszeit nehmen – für einen Nachmittag, je nach Modell aber auch für ein Sabbatical oder einen früheren Rentenbeginn. Solche Arbeitszeitkonten bieten Flexibilität, bergen aber auch Risiken.
Gefährdet ist vor allem die Gesundheit: „Erholung lässt sich nicht aufschieben“, mahnt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in einer Broschüre. Wer also ständig zu lange arbeitet, um sich den ersehnten Drei-Monats-Trip durch Mexiko leisten zu können, der gefährdet seine Gesundheit, Leistung und Sicherheit.
Laut Bundesarbeitsministerium gibt es zwei Varianten von Arbeitszeitkonten: Erstens die kurzfristigeren Modelle, das sind Kurzzeit-, Gleitzeitoder Jahresarbeitszeitkonten mit begrenzter Laufzeit, vor allem zum Ausgleich von Mehrarbeit über Tage und Wochen gedacht. Und zweitens langfristig angelegten Modelle, das sogenannte Wertguthaben und die Sonderform Lebensarbeitszeitkonto zum Beispiel, mit denen Beschäftigte auf eine längerfristige Freistellung hinarbeiten.
Zumindest die kurzfristigen Varianten sind mittlerweile fast Standard, sagt Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). „Es ist an sich auch erstmal eine gute Sache für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, dass nicht an jedem Tag genau dieselbe Arbeitszeit ab- (bü) Pflichtverletzung Plant ein Leitender Angestellter den Wechsel in ein anderes Unternehmen und schickt interne Betriebsunterlagen (hier mit Informationen zu Kundendaten und Projekten) per E-Mail an seinen Privat-Account, muss er mit einer fristlosen Kündigung rechnen. Auch das Landesarbeitsgericht BerlinBrandenburg ging von einer schwerwiegenden Pflichtverletzung aus. Das Argument, er habe die E-Mails „zur Ausführung geschäftlicher Interessen“weitergeleitet, zog nicht. (LAG Berlin-Brandenburg, 7 Sa 38/17) Meinungsäußerung Die grobe Beleidigung eines Arbeitskollegen (hier eines türkisch-stämmigen Mannes), „die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten“, können eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Dabei kann sich der Arbeitnehmer nicht etwa auf das Recht auf freie Meinungsäußerung berufen. Denn dieses schütze weder vor Formalbeleidigungen noch vor bloßen Schmähungen oder bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen. Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant. Jedoch sei der Arbeitgeber grundsätzlich dazu verpflichtet, anstelle einer fristlosen Kündigung zu- geleistet werden muss.“Teilzeit-Beschäftigte haben mehr Möglichkeiten, Arbeitszeit anzusparen ohne die eigene Gesundheit zu gefährden, als Beschäftigte mit einer hohen wöchentlichen Arbeitszeit, sagt Frank Brenscheidt von der BAuA in Dortmund. Zumindest bei ihnen können Arbeitszeitkonten also mehr Flexibilität für Beschäftigte und Unternehmen bringen.
Dabei sollten sich Arbeitgeber allerdings an ein paar Spielregeln halten, fordert das BAuA: Dauerhaft sollten Beschäftigte nicht mehr als acht Stunden am Tag arbeiten, die Mitarbeiter müssen über die Arbeitszeiten mitentscheiden nächst eine Abmahnung auszusprechen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall handelt, so das Gericht. (LAG Hamm, 15 Sa 1358/16) Nachtzulage Zahlt ein Arbeitgeber neben dem Grundgehalt eine pauschale Zulage (hier in Höhe von 120 Euro) pro Monat, womit anfallende Nacht-, Sonntags oder Feiertagsarbeit unabhängig davon entschädigt werden soll, ob entsprechend lange jeweils an den betreffenden Tagen gearbeitet wurde, so handelt es sich um einen Betrag, der auf den gesetzlichen Mindestlohn (von aktuell 8,84 Euro pro Stunde) anzurechnen ist. Die Zulage sei dem Mindestlohn „funktionell gleichwertig“, so das Gericht. (LAG Hamm, 11 Sa 78/16) Verspätung Kommt ein Examenskandidat, der bereits einmal die Prüfung nicht bestanden hatte, bei seinem letzten Versuch auch nur fünf Minuten zu spät zum Prüfungsgespräch, so kann das das „Aus“bedeuten. Denn sind die Türen des Prüfungsraumes bereits geschlossen, so ist er von der Prüfung insgesamt ausgeschlossen und hat – nach dem Scheitern bereits im ersten Anlauf – die Prüfung insgesamt und endgültig nicht bestanden. (OVG Nordrhein-Westfalen, 14 A 2441/16) können, und die Zeiten sollten familienbewusst gewählt sein.
In der Realität wird Arbeitszeitflexibilität allerdings häufig eher durch die Gegebenheiten von Arbeitgeber und Job bestimmt, so IAB-Experte Weber. Der Arbeitnehmer habe darauf weniger Einfluss – mit negativen Konsequenzen. „Zufriedenheit kommt daher, wenn ich in der Lage bin, die Arbeitszeit zu beeinflussen“, sagt Weber. „Unzufriedenheit kommt dagegen von denen, die unbezahlte Überstunden, Schicht- und Wochenendarbeit oder ein hohes Stressniveau haben.“
„Je mehr Überstunden die Leute machen, desto mehr gesundheitliche Beeinträchtigungen haben sie“, sagt auch Frank Brenscheidt von der BAuA. Wer schon Vollzeit arbeitet, sollte deshalb nicht noch Überstunden auf dem Arbeitszeitkonto sammeln. Oder für die Rente vorarbeiten mit einem Lebensarbeitszeitkonto? Auf den Urlaub verzichten, damit die Rente näher rückt – auch da-
Enzo Weber von rät Brenscheidt aus gesundheitlichen Gründen ab:
Das Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto lässt sich aber auch anderweitig erhöhen, zumindest bei der Langzeitvariante: Häufig kann der Arbeitgeber dort zum Beispiel Prämien einzahlen, das Weihnachtsoder Urlaubsgeld etwa. Oder er kann von sich aus Zuschüsse anbieten, aus einem sogenannten Demografiefonds zum Beispiel.
Die Frage, ob man jetzt auf Lohn oder Prämien verzichtet, um später davon zu profitieren, ist aber auch eine finanzielle: „Wer weniger Geld ausbezahlt bekommt, hat bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit auch weniger, weil die Berechnungsgrundlage geringer ist“, warnt Helga Nielebock. Sie leitet die Rechtsabteilung im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Zudem könnte das gesammelte Guthaben im Insolvenzfall des Unternehmens verloren gehen, sagt Nielebock. Denn Wertguthaben müssen per Gesetz zwar rechtlich abgesichert sein. Für andere Modelle gilt das aber nicht. Und das Insolvenzgeld, das Berufstätige dann von der Bundesagentur für Arbeit erhalten, sichert lediglich Lohn- und Gehaltsansprüche aus den vergangenen drei Monaten vor der Pleite ab.
Recht & Arbeit
„Zufriedenheit kommt daher, wenn ich die Arbeitszeit beeinflussen kann“
IAB