INTERVIEW „Judenfeindlichkeit gibt es im Christentum und im Islam“
Der Islamlehrer Mansur Seddiqzai sagt: Viele Jugendliche aus Einwandererfamilien begreifen nicht, dass das, was sie sagen, problematisch ist.
Herr Seddiqzai, einer Ihrer Schüler hat Sie im Unterricht einmal gefragt: „Warum sind Juden eigentlich von Grund auf böse?“Welche anderen antisemitischen Äußerungen haben Sie im Unterricht mitbekommen? SEDDIQZAI Im Unterricht nicht, das ist eher nebenbei, auch auf dem Schulhof: „Der ist wie ein Jude.“Die Schüler werfen sich allerdings alles Mögliche an den Kopf. Die Beleidigungen gehen in alle Richtungen. „Du Kartoffel“kommt immer wieder vor. Ganz neu ist „Du Afghane“. Wahlweise wird „Türke“oder „Kurde“als Schimpfwort benutzt. „Du Flüchtling“ist eine neue, sehr abwertende Beleidigung, die Kinder – auch mit Migrationshintergrund – einander entgegenschleudern. Haben Sie andere Beispiele für Antisemitismus? SEDDIQZAI Judenwitze, die ich auf dem Schulhof mitbekomme. Verschwörungstheorien wie: Die Rothschilds, Juden, die die Weltwirtschaft steuern, das spielt eine Rolle. Interessant ist die Rückkehr des Völkischen. Nicht nur in unserer deutschen Gesellschaft, sondern auch in islamisch geprägten Gesellschaften. Dieser völkische Nationalismus ist eng verknüpft mit Antisemitismus. Im Nationalismus steckt auch immer Verfolgungswahn: Unsere Nation ist eingekreist, wir sollen überrannt werden. Und es sind immer irgendwelche Mächte, die dahinterstehen. Da lässt sich Antisemitismus gut einbauen, keine Verschwörungstheorie hat mehr Anhänger. Da schließt sich auch der Kreis zwischen einem türkischen Nationalisten und einem deutschen Nationalisten aus der AfD. Das heißt, Muslime nehmen auch den Antisemitismus auf, den sie in Deutschland aufschnappen? SEDDIQZAI Wenn Muslime in Deutschland antisemitische Äußerungen hören, ist das weniger islamischer Anti-Judaismus, sondern da geht es um klassische antisemitische Verschwörungstheorien. Wenn jemand schon mit einer negativen Einstellung Juden gegenüber nach Deutschland kommt, dann findet er hier damit Anschluss. Wir dürfen bei all den Diskussionen nicht den Antisemitismus vergessen, der vonseiten der Mehrheitsgesellschaft kommt. Es ist leicht, stattdessen muslimische Jugendliche zu kritisieren, die haben keine Lobby. Aber das führt zum gegenteiligen Effekt: Diese Jugendlichen kriegen mit, dass auf ihnen rumgehackt wird. Das öffnet Tür und Tor für die- jenigen, die mit offenen Armen auf diese Jugendlichen warten. Das sind die Extremisten, die ihnen sagen: Diese Gesellschaft will euch nicht. Kann es sinnvoll sein, Antisemitismus unter Muslimen als eigene Form des Antisemitismus zu betrachten? SEDDIQZAI Da bin ich hin- und hergerissen. Es gibt im Christentum als auch im Islam religiös begründeten Anti-Judaismus. Diese Judenfeindlichkeit existiert. Der Antisemitis- mus, der als pseudowissenschaftliche Erklärung daherkommt – Juden als Rasse – ich weiß nicht, ob dieser Antisemitismus unter muslimischen Einwanderern so bewusst daherkommt. Antisemitismus von Leuten, die die Argumente kennen, die das quasi studiert haben, Mitglieder von der NPD und AfD, so einem Antisemitismus bin ich unter Muslimen noch nicht begegnet. Viele Jugendliche aus Einwandererfamilien haben gar nicht den Horizont zu begreifen, dass das, was sie sagen, problematisch ist. Deshalb müssen wir in der Schule aufklären. Wie? SEDDIQZAI Lehrer dürfen nicht weghören, wenn sie etwas Problematisches hören. Was problematisch ist, muss ich auch ansprechen. Und wenn ich dafür den Unterricht un- terbrechen muss. Das machen Lehrer aber ungern, weil unsere Lehrpläne sehr dicht sind. Wenn man mit den Schülern redet, muss man auf ihre Argumente eingehen und nicht versuchen, sie mit Gegenrede zu überwältigen oder gar mit Sanktionen zu reagieren. Sonst fühlen sich Schüler ohnmächtig, und das schlägt in Wut um. Dann glauben sie an das, was ihnen auch in der Moschee oder im Internet erzählt wird: Dass es keine Meinungsfreiheit in Deutschland gibt. Viele wichtige Gespräche fangen bei mir nicht im Unterricht an, sondern danach an der Tischtennisplatte. Das sind ja auch Konflikte, in denen ich selbst war. Ich spreche auch immer zu einer jüngeren Version meiner selbst. SEBASTIAN DALKOWSKI FÜHRTE DAS INTERVIEW.