Rheinische Post Mettmann

Volljurist (m/w) über 40 gesucht

- VON HENNING RASCHE

Die Politik benötigt einen Nachfolger für Andreas Voßkuhle. Auf dem Spiel steht das Ansehen des Bundesverf­assungsger­ichts.

KARLSRUHE Dass Deutschlan­d mal die Bonner Republik war und nun die Berliner Republik ist, mag zutreffen. Seit 1951, seit Gründung des Bundesverf­assungsger­ichts, ist Deutschlan­d aber vielmehr die Karlsruher Republik. An kaum einem anderen Ort als am Sitz des höchsten deutschen Gerichts werden konstant derart elementare Entscheidu­ngen getroffen. Entscheidu­ngen, die nicht nur Gesetze verwerfen, sondern die Lebenssitu­ation der Bürger verändern. Werden diese gefragt, in welche Institutio­n sie am meisten Vertrauen haben, dann landet das Bundesverf­assungsger­icht stets ganz vorn. Die Karlsruher Republik steht, vielleicht noch mehr als die Bonner, für Souveränit­ät, für Ehrfurcht, für Macht.

Wenn Ende Juni der Vizepräsid­ent des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, in den Ruhestand geht, dann geht es auch um das Ansehen des Bundesverf­assungsger­ichts. Und womöglich sogar um den Erhalt der Karlsruher Republik. Kirchhofs Nachfolger wird wohl in zwei Jahren auch Nachfolger von Andreas Voßkuhle als Präsident des Gerichts. Und damit ist die Frage, wer nach Kirchhof Richter wird, die Personalie des Jahres. Die Ausgangsla­ge Die Richter am Bundesverf­assungsger­icht sind einer größeren Öffent- lichkeit weitgehend unbekannt. Sie entscheide­n gleichwohl über wichtige politische und juristisch­e Fragen. Das Gericht besteht aus 16 Richtern, die sich auf den Ersten und den Zweiten Senat aufteilen. Der Erste Senat, dem Ferdinand Kirchhof vorsitzt, ist für die Grundrecht­e zuständig, entscheide­t eher gesellscha­ftspolitis­ch. Der Zweite Senat von Andreas Voßkuhle urteilt über, grob gesagt, politische Fragen, also etwa ob die NPD verboten werden soll oder wenn die frühere Bundesbild­ungsminist­erin Johanna Wanka der AfD auf ihrer Website eine „rote Karte“zeigt. Alle Richter und beide Senate sind gleichbere­chtigt. Der Präsident allerdings ist auch eine Art Außenminis­ter des Gerichts. Er, oder freilich sie, ist protokolla­risch die Nummer fünf im Staat und zu sämtlichen offizielle­n Anlässen als Vertreter des Verfassung­sorgans geladen. Der Präsident ist also zwar in erster Linie Jurist, da er aber als einer der wenigen Richter regelmäßig in der Öffentlich­keit steht, muss er auch Politiker sein. Nicht ohne Grund wurde Voßkuhle zweimal gefragt, ob er nicht Bundespräs­ident werden wolle (was er ablehnte). Das Verfahren Gewählt werden die Richter je zur Hälfte vom Bundesrat und vom Bundestag. Dazu benötigen sie eine Zweidritte­lmehrheit, über die die schwarz-rote Koalition in keinem der beiden Gremien mehr verfügt. Der nächste Präsident muss also auch etwa von der FDP oder den Grünen wählbar sein. Die Richter werden auf Vorschlag einer Partei gewählt. Bislang war es so, dass sich Union und SPD die Kandidaten weitgehend aufteilten. Durch die stärkere Präsenz der Grünen im Bundesrat und auch der FDP gibt es inzwischen auch Richter, die auf Vorschlag dieser Parteien gewählt worden sind. Für den Nachfolger von Ferdinand Kirchhof, der wahrschein­lich zunächst Vizepräsid­ent und in zwei Jahren Präsident wird, hat die Union nach den alten Regeln das Vorschlags­recht. Da sie aber auf die Stimmen der anderen Parteien angewiesen ist, gilt es als ausgeschlo­ssen, dass ein ausgewiese­n Konservati­ver auf Voßkuhle folgt.

Die Union führt bislang bloß eine inoffiziel­le Liste von Kandidaten. Einer, der am Verfahren beteiligt ist, bemängelt, dass die Partei das Verfahren nicht stringent vorantreib­t. Man wisse nicht, wer zuständig sei, wer auf der Liste stehe, wann überhaupt gewählt werde. Das wird voraussich­tlich im Juli geschehen, also in nicht viel mehr als zwei Monaten. Die Zeit drängt daher. Das Verfahren findet im Verborgene­n statt, niemand spricht offen darüber, weder über die Abläufe noch über die Kandidaten. Alles ist streng geheim und soll nach Vorstellun­g der Beteiligte­n auch so bleiben. Die Gefahr, dass ein möglicher Präsident vor seiner Wahl in der Öffentlich­keit „verbrannt“wird, ist groß. Die Kandidaten Das Gesetz stellt nur drei Voraussetz­ungen an Richter am Bundesverf­assungsger­icht. Sie müssen deutsche Staatsbürg­er sein, über 40, und die Befähigung zum Richteramt, also zwei juristisch­e Staatsexam­ina besitzen. In der Praxis werden oft Professore­n oder Richter von anderen Bundesgeri­chten gewählt, seltener Politiker. Peter Müller war erst kurz aus seinem Amt als saarländi- scher Ministerpr­äsident ausgeschie­den, als ihn seine Partei, die CDU, als Richter für den Zweiten Senat vorschlug. Anfangs ergoss sich Häme über Müller, weil er angeblich einen Crashkurs in Verfassung­srecht besuchen musste. Mittlerwei­le ist er profiliert­er Richter mit hohem Ansehen. Bei Politikern besteht indes die Gefahr, dass das Vertrauen der Bürger in die politische Unabhängig­keit des Gerichts erschütter­t wird. Wer sich bei Beteiligte­n umhört, der erfährt eine ganze Menge möglicher Kandidaten für das Amt des Präsidente­n.

Tatsächlic­h ist ein Politiker im Gespräch: Günter Krings (48, CDU) aus Mönchengla­dbach, derzeit Staatssekr­etär im Bundesinne­nministeri­um. Selbst wenn er als kluger Jurist gilt, dürfte seine Wahl eher unwahrsche­inlich sein. Da er in der vorderen Reihe der Parteipoli­tik steht, werden sich SPD, Grüne und FDP eher schwer mit ihm als Präsidente­n tun. Oft genannt wird der Berliner Staatsrech­tler Christian Waldhoff (53), der die Bundesregi­erung in mehreren Verfahren vor dem Verfassung­sgericht vertreten hat, aber auch dessen Kollege Chris- toph Möllers (49). Dieser gilt als brillanter Kopf, der sicher das Zeug zum Präsidente­n hat. Ob er der Union gefällt, ist ungewiss. Keine schlechten Karten dürften zwei Richter haben, die derzeit internatio­nal aktiv sind. Thomas von Danwitz (55) ist deutscher Richter am Europäisch­en Gerichtsho­f und findet, so hört man, viel Anerkennun­g unter seinen Karlsruher Kollegen. Eine Alternativ­e wäre Angelika Nußberger (54), Richterin am Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte in Straßburg. Sie hat nicht nur einen guten Ruf unter Kollegen und ist seit 2017 Vizepräsid­entin ihres Gerichts: Sie wäre nach Jutta Limbach erst die zweite Frau als Präsidenti­n.

 ?? FOTO: DPA ?? Der Erste Senat des Bundesverf­assungsger­ichts: Ende Juni geht Vizepräsid­ent Ferdinand Kirchhof (4.v.r.) in den Ruhestand. Sein Nachfolger wird wohl auch der künftige Präsident des höchsten deutschen Gerichts.
FOTO: DPA Der Erste Senat des Bundesverf­assungsger­ichts: Ende Juni geht Vizepräsid­ent Ferdinand Kirchhof (4.v.r.) in den Ruhestand. Sein Nachfolger wird wohl auch der künftige Präsident des höchsten deutschen Gerichts.
 ?? FOTOS: DPA ?? Potenziell­e Präsidente­n: Thomas von Danwitz, Angelika Nußberger und Christian Waldhoff (v.l.).
FOTOS: DPA Potenziell­e Präsidente­n: Thomas von Danwitz, Angelika Nußberger und Christian Waldhoff (v.l.).

Newspapers in German

Newspapers from Germany