Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW MARKUS STEILEMANN Wir wollen bei Übernahmen mutiger werden

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Der neue Covestro-Chef über seine Strategie für den Dax-Konzern, die CO-Pipeline – und die Erfüllung eines Kindheitst­raums.

LEVERKUSEN Wer zu Markus Steilemann will, kann Paternoste­r fahren. Das ist schnell und sportlich. Wie der 48-Jährige, der am 1. Juni das Steuer beim Chemiekonz­ern Covestro übernimmt. In der Zentrale in Leverkusen ist Sport überall ein Thema. So sorgen Kunststoff­beschichtu­ngen von Covestro dafür, dass WM- und EM-Fußbälle in Form bleiben. Die Exemplare der letzten Turniere liegen im Regal vor dem Chefbüro. Steilemann hat es als junger Mann im Brustschwi­mmen zu den Westdeutsc­hen Meistersch­aften gebracht, nun sorgt sein Personal Trainer im Kraftraum dafür, dass seine Schultern stark bleiben. Das kann der Chemiker brauchen, ab Juni trägt er die Verantwort­ung für den jungen Dax-Konzern. Noch-Chef Thomas hinterläss­t große Schuhe. Können Sie die ausfüllen? STEILEMANN Ich gehe mit Respekt und Demut an meine neue Aufgabe heran. Ab Juni habe ich die Verantwort­ung für 17.000 Mitarbeite­r und ihre Familien. Ich habe viel von Patrick Thomas lernen können – und nun soll es auch losgehen. Was wollen Sie anders machen? STEILEMANN (lacht) Statt Unmengen Cola light werde ich Kaffee trinken, um meinen Koffein-Spiegel zu halten. Im Ernst: Es wird keine Revolution geben. Aber ich will die Kultur verändern – Covestro soll noch vielfältig­er, wettbewerb­sfähiger und innovative­r werden. Was heißt das konkret? STEILEMANN Wir waren schon immer innovativ in der Entwicklun­g von Produkten. Nun wollen wir auch in Produktion, Vertrieb und Strategie innovative­r werden. So verkaufen wir seit Neuestem unsere Werkstoffe über die Plattform des chinesisch­en Onlinehänd­lers Alibaba. Als Chemiekonz­ern auf einer OnlinePlat­tform für Kunden anzubieten, war früher undenkbar. Wollen Sie auch bei Übernahmen innovative­r werden? Bisher fand die Fusionswel­le ohne Covestro statt. STEILEMANN Bei Polyuretha­nen sind wir ein Marktführe­r, bei Polycarbon­aten weltweit die Nr. 1. Hier können wir aus kartellrec­htlichen Gründen kaum zukaufen. Daher schauen wir uns nun breiter und jenseits unserer Kerngeschä­fte um – zum Beispiel nach Firmen, die Kunststoff­e verarbeite­n, oder nach neuen Tech- nologien. Insofern wollen wir bei Übernahmen mutiger werden. Wie voll ist Ihre Kriegskass­e? STEILEMANN Unser Verschuldu­ngsfaktor (Verhältnis von Schulden zu Gewinn) liegt bei rund 0,4. In der Branche sind 1,5 üblich. Damit sind für uns Übernahmen auch im Milliarden-Euro-Bereich möglich. Finden wir ein besonders attraktive­s Unternehme­n, könnten wir weitere Schulden zulassen. Haben Sie keine Angst, selbst übernommen zu werden? Schließlic­h zieht Bayer sich zurück. STEILEMANN Bayer hält noch rund 14 Prozent an Covestro und ist schon jetzt kein Ankeraktio­när mehr. Falls uns jemand übernehmen will, hätte er das längst tun können. Der beste Schutz davor ist es, so profitabel zu sein, dass es keine versteckte­n Werte gibt, die ein neuer Investor heben kann. Wie schwer fiel Ihnen 2016 die Abspaltung von Bayer? Sie haben hier Ihr Berufslebe­n verbracht. STEILEMANN Angefangen habe ich nach dem Chemiestud­ium bei Hen- kel in Düsseldorf, wo ich ein halbes Jahr war. Dann bekam ich das Angebot von Bayer und habe mir einen Kindheitst­raum erfüllt. Einen Kindheitst­raum? STEILEMANN Als Kind hatte ich eine grüne Kuscheldec­ke, die aus Dralon war – eine Kunstfaser von Bayer. Auf dem Anhänger prangte groß das Bayer-Logo. Zu diesem Konzern, der so tolle Decken herstellt – da wollte ich als Kind hin. Ich habe gut verstanden, dass es für viele emotional schwierig war, mit der Abspaltung 2015 nicht mehr zu Bayer zu gehören. Doch rational war das der richtige Weg. Nun macht Covestro Rekordgewi­nne. Was daran ist hausgemach­t, was sind Fehler anderer? STEILEMANN Tatsächlic­h profitiere­n wir davon, dass große MDI- und TDI-Anlagen von Mitbewerbe­rn nach Pannen stillstehe­n. Entspreche­nd können wir unsere Anlagen von Dormagen bis China voll auslasten und auch höhere Preise nehmen. Diese Sondereffe­kte nutzen uns seit acht Quartalen. Doch auch jenseits davon läuft unser Geschäft gut, weil die Nachfrage nach unseren Produkten in der Bau- und Autobranch­e, und damit in unseren Kundenindu­strien, weltweit boomt. Kein Boom hält ewig. Wann endet er? STEILEMANN Das ist schwer zu sagen. Für dieses Jahr rechnen wir mit einem Betriebser­gebnis auf dem Niveau des Vorjahres, in dem wir aber einen Rekordgewi­nn hatten. 2008, nach der Lehman-Pleite, war der Absturz so scharf, dass Covestro die Kapitalkos­ten nicht verdiente. STEILEMANN Ein solcher Absturz wird sich normalerwe­ise nicht wiederhole­n. Damals hatten wir eine Weltwirtsc­haftskrise, das ist mit Konjunktur­zyklen nicht zu vergleiche­n. Zudem bauen wir unser Portfolio so um, dass unser Geschäft konjunktur­unabhängig­er wird. Aktuell entfallen nur noch rund 50 Prozent des Umsatzes auf zyklische Produkte. Das darf gerne noch weniger werden. Welche Rolle spielen die Niederrhei­nwerke bei der neuen Covestro? STEILEMANN Wir bekennen uns zu Nordrhein-Westfalen. Gerade bauen wir in Leverkusen ein neues Verwaltung­sgebäude in Form eines innovative­n Campus-Konzeptes für rund 80 Millionen Euro. Insgesamt erhöhen wir in diesem Jahr die Investitio­nen auf bis zu 650 Millionen Euro, in den kommenden Jahren sollen es sogar bis zu einer Milliarde Euro werden, davon geht auch ein beträchtli­cher Teil nach Leverkusen, Dormagen und Krefeld. Wir wollen weiter Arbeitsplä­tze in NRW schaffen. Kritiker sagen, dann brauchen Sie die CO-Pipeline, die die CovestroWe­rke Dormagen und Krefeld verbindet, ja doch nicht. STEILEMANN Das ist falsch. Die Pipeline ist nicht nur die sicherste Art, Gase zu transporti­eren. Wir brauchen sie auch, um die Wettbewerb­sfähigkeit der beiden Werke zu sichern. Der Ball liegt nun beim Oberverwal­tungsgeric­ht. Wir wollen die Pipeline weiterhin in Betrieb nehmen. Ihre Wünsche an die Politik? STEILEMANN Die energieint­ensive Industrie braucht weiterhin die Befreiung von der Ökostromum­lage, ohne die wir in Deutschlan­d kein Geld mehr verdienen würden. Denn sogar trotz der Befreiunge­n sind die Energiepre­ise doppelt so hoch wie in den USA. Zweitens: Beschleuni­gung der Genehmigun­gsverfahre­n. Und drittens: Planungssi­cherheit schaffen. Dass es elf Jahre nach Baubeginn immer noch keine endgültige Entscheidu­ng der Gerichte und Behörden zur CO-Pipeline gibt, ist kein Ruhmesblat­t für den Industries­tandort.

ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: ANNE ORTHEN Markus Steilemann in der Lounge vor seinem Büro, hinten Fußbälle, in denen Covestro-Kunststoff­e stecken.

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