Rheinische Post Mettmann

Bosniens unentdeckt­er Naturschat­z

- VON PHILIPP LAAGE

Der Sutjeska-Nationalpa­rk in Bosnien und Herzegowin­a ist ein Juwel. Dort erwartet Besucher einer der letzten Urwälder Europas. Nur ist der Park so gut wie unbekannt. Ein ambitionie­rter Fernwander­weg könnte das ändern – irgendwann.

TJENTISTE (dpa) Schroffe Karstkämme verlieren sich in der Ferne, dicht bewaldete Täler durchschne­iden karge Hochebenen. Vom Gipfel des Maglic bietet sich ein wildromant­isches Panorama. Die sanften Hänge auf der Nordseite des Berges sind von Enzianen, Hahnenfüße­n und Strahlensa­men überzogen. Einige hundert Meter tiefer schimmert der Trnovacko-See in karibische­n Farben. Natur wie gemacht zum Wandern. Trotzdem ist der älteste Nationalpa­rk in Bosnien und Herzegowin­a fast menschenle­er. Warum nur?

Der Sutjeska-Nationalpa­rk liegt im Südosten des Balkanland­es an der Grenze zu Montenegro. Hier kämpften Titos Partisanen einst gegen die Wehrmacht. Später durchstrei­fte der Langzeithe­rrscher Jugoslawie­ns die Wälder zu Erholungsz­wecken. Doch der Bosnienkri­eg in den 90er Jahren zerstörte den Tourismus im Land. Noch heute, mehr als 20 Jahre danach, liegt der Nationalpa­rk im Dämmerschl­af.

Der Amerikaner Tim Clancy will das ändern. Die Chancen dafür standen vielleicht noch nie so gut. Clancy, 50, kam während des Krieges mit einer Hilfsorgan­isation nach Bosnien. Er blieb, gründete einen Anbieter für Ökotourism­us und hatte eine Idee: die Via Dinarica, ein Fernwander­wegnetz von Slowenien bis nach Albanien. Die Route wurde 2010 ins Leben gerufen und vier Jahre später vom renommiert­en „Outside Magazine“als bester neuer Trail der Welt ausgezeich­net. Clancy war es auch, der die Organisati­on Terra Dinarica gründete und den US-Botschafte­r in Bosnien von einer Finanzieru­ng überzeugte. Durch das Land führen rund 350 Kilometer des Trails, auch durch den Sutjeska-Park. Nun können die Besucher kommen.

Die Tour auf den Maglic, mit 2386 Metern höchster Berg des Landes, ist ein einsames Vergnügen. Der ausgesetzt­e Steig durch die Westwand zum Gipfel erfordert Schwindelf­reiheit und wird darum ohnehin nur selten begangen. Vom höchsten Punkt führt ein Pfad über Wiesen und Hänge hinab zum Trnovacko-See, der schon in Montenegro liegt. Von hier geht es zurück zum Aussichtsp­unkt Prijevor, wo die Tour begann.

Dort steht eine kleine Hütte, in der Touristen nach einer Voranmeldu­ng bei der Parkverwal­tung übernachte­n können: Alte Mauern tragen ein neues Dach, in der Mitte des Raums eine Spüle mit kaltem Wasser und ein Herd, unter dem Fenster eine Sitzecke, ein Schrank, zwei Doppelbett­en. Bewirtung gibt es nicht, aber Wanderführ­er Srdan wärmt eine Konserve auf. Das Abendessen in den bosnischen Bergen ist an diesem Abend ein Feuertopf mexikanisc­her Art.

Srdan spricht wie viele Guides im Park kaum ein Wort Englisch. Vertrauen zum Gast aus Deutschlan­d wird hergestell­t über das gegenseiti­ge Zeigen von Familienfo­tos, zwei Tassen Kaffee und einen Schluck Schnaps.

Die mangelnde Infrastruk­tur ist derzeit das größte Hindernis für mehr Touristen im Nationalpa­rk. Im Hauptort Tjentiste im Sutjeska-Tal gibt es das „Hotel Mladost“und einen Campingpla­tz, mehr nicht. Die leeren Flure der Herberge haben etwas Gespenstis­ches. Der Parkdirekt­or von Sutjeska, Dejan Pavlovic, ist eigentlich Radiologe. Mit jährlich 1,1 Millionen Mark (562.000 Euro) von der Regierung und privaten Spenden hat er als erster Direktor überhaupt geschafft, dass der Park Gewinn macht. Was ist die größte Herausford­erung seiner Arbeit? „Man fragt mich wegen allem und jedem“, sagt Pavlovic. Keiner der Parkmitarb­eiter treffe selbst Entscheidu­ngen. Das liege noch an der sozialisti­schen Mentalität.

Tim Clancy denkt amerikanis­ch. Wenn er durch den Nationalpa­rk fährt, sieht er überall Möglichkei­ten. Themenwege könnte man anlegen, einen „Partisan’s Path“oder „Tito’s Trail“. Doch alles kommt nur langsam voran. „Sie liegen zehn Jahre hinter unseren Ideen zurück.“Sie, das sind die korrupten Behörden. Trotzdem ist Clancy optimistis­ch. Bosnien mit seinem Sutjeska-Park könne das Vorzeigela­nd der Via Dinarica werden. „Ich bin jetzt 25 Jahre im Land und habe

Tim Clancy noch nie ein Projekt gesehen, für das es einen so großen Konsens gab“, sagt er. „Jeder mag die Idee.“

Unter Globetrott­ern gilt Bosnien und Herzegowin­a mit der angesagten Hauptstadt Sarajevo schon als kleines Trendziel. In den vergangene­n vier bis fünf Jahren sind im Land viele Tourismusa­genturen entstanden. Oft arbeiten sie noch nicht sehr profession­ell. „Aber sie gleichen das mit ihrer Gastfreund­schaft aus“, sagt Clancy.

Wer in Kauf nimmt, dass sich Reisepläne auch mal spontan ändern, wird die unberührte Natur im Sutjeska-Nationalpa­rk ohnehin in vollen Zügen genießen. Schicke Unterkünft­e braucht es nicht. Eine lohnende Wanderung führt aus dem Tal zum Bergsee Donje Barre auf etwa 1500 Meter. Oben auf dem Plateau stehen die blühenden Bergwiesen hüfthoch. Auch die Insektendi­chte ist gefühlt deutlich höher als im Allgäu oder in Tirol.

Gänzlich unberührt von Menschenha­nd liegt Perucica dar, einer der letzten Urwälder Europas, der sich nördlich des Maglic erstreckt. Ein Pfad führt von einer Talseite auf die andere. Die Durchqueru­ng ist nur mit einem Führer gestattet.

Die Einheimisc­hen schätzen den Nationalpa­rk nicht so sehr für die Natur, sondern für seine Geschichte. Im Tal erinnert ein Denkmal an die Schlacht an der Sutjeska im Zweiten Weltkrieg. Das deutsche Heer wollte die jugoslawis­chen Partisanen vernichten und Tito gefangen nehmen (Operation Schwarz). Das misslang. Das Tjentiste War Memorial ist für die Einheimisc­hen ein wichtiges Symbol.

So sind es derzeit vor allem Menschen vom Balkan, die Sutjeska besuchen. Um mehr Touristen aus Westeuropa anzulocken, soll zum Beispiel ein weiterer Campingpla­tz entstehen. Wichtiger noch könnte der Bau eines zweiten Hotels sein, das weniger an eine Jugendherb­erge erinnert als das „Mladost“. Man sucht noch einen Investor. Das ehemals beste Haus am Platz wurde im Bosnienkri­eg geplündert. Die Ruine steht noch.

„Die Behörden liegen zehn Jahre hinter unseren Ideen

zurück“

Ökotourism­us-Anbieter

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FOTOS: LAAGE/TMN Bergwiese mit Blumen und Trnovacko-See im Tal – ein vorzüglich­es Panorama.
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Im Sutjeska-Tal steht ein Denkmal, das an die Schlacht am Fluss Sutjeska im Zweiten Weltkrieg erinnert.
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Schutzhütt­e am Aussichtsp­unkt Prijevor, im Hintergrun­d der Maglic: Mit einer komfortabl­en Alpenverei­nshütte hat die Herberge nichts zu tun.
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