Politischer Stillstand in Italien
Zwei Monate nach der Parlamentswahl zeichnet sich keine Regierungsbildung ab. Das Risiko einer Schuldenkrise steigt damit.
ROM Sie nennen ihn „il muto“, den Stummen. Aber so viel wie in den vergangenen Wochen dürfte der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella selten diskutiert, beraten und gesprochen haben. Nicht in der Öffentlichkeit, sondern in den Hinterzimmern des Quirinalspalastes in Rom, dem Sitz des italienischen Staatsoberhaupts. Zwei Monate nach der Parlamentswahl hat Italien noch keine Regierung. Mattarella hat sich als Regisseur der Regierungsbildung bemüht, vier Sondierungsrunden verliefen ergebnislos. Drei untereinander zerstrittene Partei-Blöcke – das Mitte-Rechts-Lager mit der rechtspopulistischen Lega sowie Silvio Berlusconi, die FünfSterne-Bewegung und die Sozialdemokraten – gingen aus der Abstimmung am 4. März hervor, die sich bislang nicht auf eine gemeinsame Linie einigen wollen. „Wir haben Schwierigkeiten auf unserem Weg“, sagte der 76-jährige Mattarella in seiner Ansprache zum 1. Mai.
Zunächst war ein Bündnis zwischen der systemkritischen FünfSterne-Bewegung und der rechtspopulistischen Lega an der Frage gescheitert, ob der mit der Lega verbündete Silvio Berlusconi mit in einer gemeinsamen Regierung sitzen könne oder nicht. Die zuletzt diskutierte Option betraf ein Bündnis zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung und der gemäßigt linken Demokratischen Partei (Partito Democratico, PD). Ex-Premier und ExParteichef Matteo Renzi torpedierte die Annäherungsversuche jedoch am Wochenende bei einem Fernsehauftritt. Die Wähler hätten die Sozialdemokraten in die Opposition geschickt, behauptete Renzi. An den politischen Vorstellungen der FünfSterne-Bewegung wie der Einführung eines Bürgergehalts ließ Renzi kein gutes Haar und listete die Beschimpfungen auf, die er und seine Partei im Wahlkampf von den „Grillini“hatten hinnehmen müssen. Am Donnerstag soll die Partei offiziell über die Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der vom Komiker Beppe Grillo gegründeten Partei entscheiden. Da Renzi, der infolge des schlechten Wahlergebnisses der PD zurückgetreten war, noch viele Parlamentarier hinter sich weiß, ist die Option de facto vom Tisch. Staatspräsident Mattarella, früher Verfassungsrichter und Minister in christdemokratisch geführten Regierungen, muss dieser Tage also eine Entscheidung treffen, wie es in Rom weitergehen soll. Dabei werden seine Optionen immer weniger – und der Druck auf ihn immer höher.
Im Wesentlichen steigt mit fortdauernder politischer Bewegungslosigkeit in Rom das Risiko, dass die internationalen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit Italiens weiter herabstufen und damit in letzter Konsequenz die rund 2300 Milliarden Euro Staatsschulden nicht mehr tragbar wären. Bislang hielten das Wirtschaftswachstum von zuletzt 1,5 Prozent, die von den vergangenen Regierungen aufgelegten Reformen sowie die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank die Ratingagenturen von die- sem Schritt ab. Mit zunehmender Dauer des Stillstands in Rom könnte deren Vertrauen allerdings schwinden.
In den Überlegungen des Staatspräsidenten spielt nun auch die Zeit eine entscheidende Rolle. Wie lange kann sich Italien den politischen Stillstand leisten? Bis zum Ende des Jahres muss der Staatshaushalt von einer amtierenden Regierung ver- abschiedet sein, sonst könnte ein Angriff der Spekulanten drohen. Im Zuge dieser Überlegungen soll Mattarella die Bildung einer Technokraten-Regierung in Erwägung ziehen, wie sie etwa ab 2011 vom Wirtschaftswissenschaftler und ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Mario Monti geführt wurde. Aber auch diese Exekutive, die Staatshaushalt und ein neues Wahlgesetz auf den Weg bringen könnte, bräuchte eine Legitimation durch das Parlament und damit durch die Parteien. Bislang verschließt sich aber die Fünf-Sterne-Bewegung dieser Option und fordert eine Neuwahl. Diese könnte erst im Herbst stattfinden und hätte ein unkalkulierbares Szenario zur Folge. Zum einen wäre dann sichergestellt, dass die Mehrheitsverhältnisse sich tatsächlich ändern und eine Regierungsbildung unkomplizierter wäre. Zum anderen ist die Zeit für die Verabschiedung des Staatshaushalts dann äußerst knapp, das Risiko einer Schuldenkrise würde steigen. Staatspräsident Mattarella steckt in einem Dilemma und mit ihm die italienische Republik.