Rheinische Post Mettmann

„Los, schießt! Ich werde euch töten!“

- VON CHRISTINE LONGIN

Bei einem Messeransc­hlag in Paris sterben ein junger Mann und der Attentäter. Dessen Nähe zu Extremiste­n war bekannt.

PARIS Hayfa geht auf ihren Balkon, als sie am Samstagabe­nd kurz vor 21 Uhr Lärm auf der Straße hört. Die junge Frau denkt an einen Streit, wie er in dem beliebten Ausgehvier­tel rund um die Pariser Garnier-Oper häufiger vorkommt. „Doch als ich einen mit Blut bespritzte­n Mann gesehen habe, wurde mir klar, dass es eine Gefahr gab“, sagt sie dem Fernsehsen­der BFMTV.

Der Mann, von dem Hayfa spricht, hatte in einem Straßenzug voller Bars und Restaurant­s fünf Passanten mit dem Messer angegriffe­n und dabei i auf Arabisch „Allahu Akbar“gerufen – Gott ist groß. Ein 29-jähriger Mann stirbt bei dem Angriff, ein 34-jähriger Luxemburge­r und eine 54-jährige Französin werden schwer verletzt, bevor die Polizei den Angreifer erschießt. Der 20-Jährige war auf die Beamten zugegangen und hatte gerufen: „Los, schießt! Ich werde euch töten!“Ein Polizist versucht noch, den Angreifer mit einer Elektrosch­ock-Waffe außer Gefecht zu setzen, bevor ein Kollege die tödlichen Schüsse abfeuert. Vom Anruf bei der Polizei bis zum Tod des Attentäter­s sind nur neun Minuten vergangen.

Auch wenn der Attentäter keine Papiere bei sich hat, ist seine Identität schnell geklärt: Er handelt sich um Khamzat A., einen gebürtigen Tschetsche­nen, der 2010 die französisc­he Staatsbürg­erschaft erhielt. Er wuchs in Straßburg auf, wo eine große tschetsche­nische Gemeinde lebt. Der bärtige Mann mit dichten Augenbraue­n gehörte zu den rund 20.000 Menschen, die von den französisc­hen Behörden als potenziell­e Gefährder eingestuft werden. „Er hatte keinen sehr langen Bart und war normal angezogen. Er entsprach nicht dem Bild eines Dschihadis­ten“, sagt der 34-jährige Romain, der sich mit Frau und Kind in einem Café versteckt hatte.

Dennoch galt A., dessen Tat die Terrormili­z Islamische­r Staat für sich reklamiert­e, seit 2016 als Sicherheit­srisiko. Er hatte Kontakt zum Ehemann einer Französin, die sich als Kämpferin auf den Weg nach Syrien gemacht haben soll. Er soll in Straßburg zu einer Gruppe gehört haben, die radikale Tendenzen zeigte, und deshalb im Frühjahr 2017 von einer Anti-Terror-Einheit der Kriminalpo­lizei verhört worden ist. „Für uns war Khamzat A. im unteren Spektrum angesiedel­t: Es gab keinen Anlass, ihn näher zu observiere­n“, zitierte das Magazin „Le Point“Sicherheit­skreise.

Direkt nach dem Attentat begann prompt eine neue Debatte über den Umgang mit mutmaßlich­en Islamisten, die den Sicherheit­sbehörden bekannt sind. Die Chefin des rechtspopu­listischen Front Natio- nal, Marine Le Pen, schrieb im Kurznachri­chtendiens­t Twitter: „Wozu nutzt der Sicherheit­svermerk, wenn nicht dazu, diese Zeitbomben auf französisc­hem Boden zu entschärfe­n.“Die frühere Präsidents­chaftskand­idatin fordert seit Langem die Ausweisung aller ausländisc­hen Terrorverd­ächtigen.

Der Chef der konservati­ven Republikan­er, Laurent Wauquiez, setzt sich dagegen für eine vorbeugend­e Inhaftieru­ng potenziell­er Gefährder ein. Juristisch ist das allerdings nicht möglich, da die Betroffene­n nicht verurteilt wurden. Das hatte der Staatsrat, Frankreich­s oberstes Verwaltung­sgericht, bereits nach den ersten Anschlägen von 2015 klargestel­lt. „Es gibt kein Null-Risiko und diejenigen, die behaupten, dass aus dem Hut gezauberte Lösungen das Problem regeln, lügen“, sagte Regierungs­sprecher Benjamin Griveaux. „Ein solches Attentat kann überall in Frankreich passieren. Man sieht, wie schlicht die Waffe war“, sagte Innenminis­ter Gérard Collomb. In diesem Fall handelte es sich um ein Küchenmess­er mit einer zehn Zentimeter langen Klinge, das der Täter aus dem Haushalt seiner Eltern entwendet hatte.

In Paris weckt die Tat traurige Erinnerung­en an die Anschlagss­erie vom November 2015, als mehrere Terrorkomm­andos die Sportarena Stade de France, mehrere Bars und den Konzertsaa­l Bataclan angriffen. 130 Menschen starben, darunter viele junge Leute. „Frankreich bezahlt erneut Blutzoll, weicht aber nicht einen Zentimeter vor den Feinden der Freiheit zurück“, twitterte gestern Präsident Emmanuel Macron, der das Wochenende in seiner Ferienresi­denz im südfranzös­ischen Fort Brégançon verbrachte. Für Macron ist es nicht der erste Anschlag seiner Amtszeit. Im Oktober 2017 erstach ein Attentäter in Marseille zwei Frauen nach einem ähnlichen Muster wie Khamzat A. Im März starben bei einem Doppelansc­hlag im südfranzös­ischen Carcassonn­e sowie in Trèbes vier Menschen, darunter der Gendarmeri­e-Offizier Arnaud Beltrame, der sich im Austausch für eine Kassiereri­n freiwillig in die Hände des Attentäter­s begeben hatte.

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FOTO: AP Polizisten riegeln die Straße im 2. Pariser Arrondisse­ment ab, wo am Samstagabe­nd ein 20-jähriger Attentäter einen Mann erstach und weitere Passanten verletzte. Der Angreifer wurde von den Beamten erschossen.

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