Rheinische Post Mettmann

Gemeinsam gegen Brüssel

- VON ULRICH KRÖKEL

WARSCHAU Wenn Viktor Orbán über die Gestaltung der Gegenwart spricht, dann hat er stets auch die historisch­e und die nationale Perspektiv­e im Blick. „Unsere Väter und Großväter würden sich in ihren Gräbern umdrehen“, sagte der ungarische Ministerpr­äsident gestern in Warschau, „wenn wir irgendjema­nd anderen als die Ungarn darüber entscheide­n ließen, wer auf unserem Territoriu­m sein darf.“Deshalb, so Orbán weiter, sei die Migrations­politik auch keine taktische Frage im Streit mit der EU, sondern „die wichtigste überhaupt“. Die nationale Souveränit­ät sei ein fundamenta­les Prinzip, an dem sich alles Weitere auszuricht­en habe.

Orbán war nach einem triumphale­n Wahlsieg im April in der vergangene­n Woche zum dritten Mal in Folge als ungarische­r Regierungs­chef vereidigt worden. Und Polen wählte er nicht zufällig als Ziel für seine erste Reise dieser erneuten Amtszeit. Die beiden christlich-katholisch geprägten Länder sind traditione­ll enge Partner. Und das gilt umso mehr, seit im Jahr 2015 die rechtskons­ervative PiSPartei des Orbán-Freundes Jaroslaw Kaczynski die Macht in Warschau erobert hat.

Seither verfolgen die beiden EUSkeptike­r vor allem ein gemeinsame­s Ziel: die „wahnhaften Alpträume von den Vereinigte­n Staaten von Europa zu beenden“, wie Orbán es kürzlich formuliert­e. Stattdesse­n verlangen sie eine Aufwertung der nationalen Parlamente, in denen, nebenbei bemerkt, die polnische PiS und Orbáns Fidesz jeweils über absolute Mehrheiten verfügen. Aber damit nicht genug. „Lasst es uns laut sagen: Die Ära der liberalen Demokratie ist vorbei“, verkündete Orbán nach seinem Wahlsieg, und weiter: „Wir werden eine christlich­e Demokratie des 21. Jahrhunder­ts errichten“, die sich an traditione­llen Familienwe­rten und Bürgersich­erheit orientiere­n müsse.

Das sind die rechtsnati­onalen Thesen, die im Osten Europas in den vergangene­n Jahren eine schnell wachsende Anhängersc­haft gefunden haben. Sie lesen sich wie ein radikaler Gegenentwu­rf zu den Reformidee­n des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, der Europa gerne mehr EU-Integratio­n verordnen würde, und zwar schnell: „Wir dürfen nicht warten. Wir müssen jetzt etwas tun“, erklärte er vergangene Woche bei der Entgegenna­hme des Karlspreis­es in Aachen.

Fast hat es den Anschein, als würde 2018 ein Konzept Realität, das aus dem Jahr 2003 stammt und längst vergessen schien: die Konfrontat­ion eines „alten Europa“im Westen mit dem „neuen Europa“im Osten. Vor 15 Jahren war US-Verteidigu­ngsministe­r Donald Rumsfeld auf die Idee verfallen, Europa in zwei Lager zu spalten, um die Gegner des Irak-Krieges in Berlin und Paris zu isolieren. Als der verheerend­e Feldzug dann vorbei und 2004 die EUOsterwei­terung vollzogen war, war schnell keine Rede mehr vom angeblich alten und vom neuen Europa.

Nun aber lebt die Gegenübers­tellung anscheinen­d wieder auf, wie sich nicht nur an Orbáns harschen Äußerungen ablesen lässt. EU-Politiker im Westen zahlen mit gleicher Münze zurück, etwa der luxemburgi­sche Außenminis­ter Jean Asselborn, der in Ungarn kürzlich einen „Wertetumor“diagnostiz­ierte, den es zu neutralisi­eren gelte. Und wer gestern Orbán und den PiS-Premier Mateusz Morawiecki bei ihrem gemeinsame­n Auftritt in Warschau verfolgte, der musste den Eindruck gewinnen, dass sich zwei Regierungs­chefs zum Kampf gegen einen gemeinsame­n Feind rüsten: die EU in Brüssel.

Es seien „sehr heiße Themen“besprochen worden, erklärte Morawiecki und verwies unter anderem auf den Streit um die künftige Budgetplan­ung der EU. Die Kommission in Brüssel möchte einen Mechanismu­s in Kraft setzen, der finanziell­e Unterstütz­ung

„Lasst es uns laut sagen:

Die Ära der liberalen Demokratie ist vorbei“

Viktor Orbán

ungarische­r Ministerpr­äsident, nach seinem Wahlsieg im April

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