Innogy laufen die Kunden weg
Im deutschen Vertriebsgeschäft schrumpft der Gewinn deutlich. Konzernchef Tigges mahnt beim Verkauf an Eon einen „Deal auf Augenhöhe“an. Finanzchef Günther hat seinen ersten Auftritt seit dem Säureattentat im März.
ESSEN Zweieinhalb Monate sind seit dem Säureanschlag auf Bernhard Günther vergangen. Seither war der Finanzvorstand des Ökostrom-Anbieters Innogy für die Öffentlichkeit nicht mehr wahrnehmbar gewesen. Gestern trat Günther erstmals wieder als Manager in Erscheinung – bei einer Innogy-Telefonkonferenz. Es sei ein erster Schritt, sagte der 51Jährige, aber er wisse, dass noch ein langer Weg vor ihm liege. Günther hatte nach der Attacke im März zeitweise in Lebensgefahr geschwebt.
Die Rückkehr des Finanzvorstandes ist eine sehr positive Nachricht für das Essener Unternehmen in Zeiten, in denen viele Mitarbeiter um ihren Job bangen, nachdem Eon sein Angebot für die Übernahme des 76,8-Prozent-Anteils von RWE gemacht hat. Viele fürchten, dass der von Eon angekündigte Stellenabbau nach dem Deal (5000 der 78.000 Arbeitsplätze sollen nach Eon-Ankündigungen auf Dauer verschwinden) vor allem zu Lasten der Innogy-Belegschaft gehen könnte. „Strukturelle Benachteiligung“nennt Innogy-Chef Uwe Tigges das, vor dem Teile der Belegschaft Angst haben.
Tigges pocht darauf, dass die Führungskräfte und Talente beider Unternehmen die gleichen Chancen haben müssten: „Wir müssen fair miteinander umgehen und auf Augenhöhe miteinander reden.“Motivation heißt das Stichwort. Wenn die nicht vorhanden sei, sehe er Probleme in den nächsten Monaten. Tigges räumte ein, dass „Mitarbeiter nicht zu uns kommen, die im Bewerbungsprozess sind, und das auch welche von uns gehen“.
Natürlich ist dem Vorstandsvorsitzenden klar, dass die Übernahme des RWE-Pakets durch Eon, die bis Ende des kommenden Jahres unter Dach und Fach sein soll, keine Fusion unter Gleichen ist. Aber: „Eine Integration auf Augenhöhe ist unabdingbare Voraussetzung für den späteren Erfolg.“Dass sich die beteiligten Unternehmen am Freitag mit den Gewerkschaften faktisch auf den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen geeinigt haben, sei „nur ein erster Schritt“.
Zwischen den Zeilen schwingt bei Tigges stets mit, dass er mit dem Eon-Angebot nicht uneingeschränkt glücklich ist. Vorstand und Aufsichtsrat von Innogy haben entsprechend auch in der vergangenen Woche keine Empfehlung abgegeben, ob Aktionäre das Eon-Angebot annehmen sollten. Es sei nicht klar, ob die Minderheitsaktionäre von Innogy schlechter gestellt würden als der Großaktionär RWE, sagte Tigges gestern. Deshalb sei auch keine Empfehlung durch die Innogy-Gremien möglich. Den Minderheitsaktionären, die etwas mehr als 23 Prozent der Anteile halten, hat Eon 40 Euro je Aktie geboten, einschließlich der Dividende für 2017 und der für das laufende Jahr erwarteten Ausschüttung. Gegenüber dem Kurs von gestern wäre dies ein Aufschlag von rund zehn Prozent. Für jene, die dem Unternehmen als Anteilseigner seit dem Börsenstart im Oktober 2016 treu geblieben sind, ist das Ganze beinahe ein Nullsummenspiel.
Die Zahlen zum ersten Quartal waren gestern nicht dazu geeignet, den Kurs der Innogy-Aktie deutlich anzutreiben. Günther musste bei seiner Rückkehr als Finanzvorstand einen Ergebnisrückgang verkünden. Der um Sondereffekte bereinigte operative Vorsteuergewinn (Ebit) ist in den ersten drei Monaten des Jahres um zwei Prozent auf 1,23 Milliarden Euro gesunken, der bereinigte Nettogewinn sogar um elf Prozent auf 610 Millionen Euro.
Innogy hat zwischen Januar und März einen deutlichen Kundenschwund hinnehmen müssen. Etwa 80.000 Kunden kehrten dem Unternehmen in Deutschland den Rücken, bei der britischen Tochter NPower waren es sogar rund 115.000. Im deutschen Vertriebsgeschäft sei der operative Gewinn auf 211 Millionen Euro zusammengeschmolzen, teilte Innogy mit – ein Minus von mehr als 20 Prozent.