Rheinische Post Mettmann

Gestrandet im Vorhof der Hölle

- VON MARION MEYER

„Seit sie“ist die erste abendfülle­nde Choreograf­ie im Tanztheate­r Wuppertal seit Pina Bauschs Tod.

WUPPERTAL Das Paradies ist verloren. Die Menschen retten sich über das Wasser auf sicheres Terrain. Einen Stuhl stellen sie vor den nächsten, treten darauf mit unsicheren Schritten, bis ein neues Ufer erreicht ist. Doch auch hier finden sie keinen Garten Eden, sondern ein Inferno wie von Dante erdacht.

Der Neubeginn gipfelt in allerlei Grausamkei­ten, Verstümmel­ungen und apokalypti­schen Details, die an Szenerien von Bruegel oder Hieronymus Bosch erinnern. Ein bildgewalt­iges Stück hat der Grieche Dimitris Papaioanno­u mit den Tanztheate­r Wuppertal Pina Bausch erarbeitet, ein Stück, in dem viel gespielt und wenig getanzt wird, das mit kleinen Reminiszen­zen an die Schöpferin des Tanztheate­rs erinnert und zugleich Eigenes schafft.

Der Regisseur – internatio­nal vor allem bekannt durch die Inszenieru­ng der Eröffnungs- und Abschlussf­eier der Olympische­n Spiele 2004 in Athen – kommt von der Bildenden Kunst, und das sieht man diesem Stück, das „Seit sie“heißt, auch an. Genauso verrätselt wie der Titel sind Papaioanno­us’ biblisch inspiriert­en Bilder, fasziniere­nd in ihrer überborden­den Fantasie, die den Zuschauer aber auch ein wenig überforder­t. Es geht um die Schaffung eines neuen Menschen, doch die Ausgangsbe­dingungen für die Flüchtling­e sind nicht gut. Der Bühnenhint­ergrund besteht aus einem großen Berg dunkler Schaumstof­fplatten, trist und unwirtlich. Ein Baum wird „gepflanzt“, doch ein Mann rupft ihn wieder heraus. Körperteil­e werden abgetrennt, Arme einmal durch Papprollen ersetzt, die einen nackten Mann wie eine Chimäre wirken lassen.

Den Kopf einer Frau lässt er zwischen den Beinen baumeln – mit Hilfe optischer Tricks vor schwarzem Hintergrun­d erzeugt der Regisseur verblüffen­de Effekte wie im Varieté.

Adam wird mithilfe der Frauen geboren und sofort in Schlips und Anzug gesteckt. Die nackte Eva bedecken Männer züchtig mit Palmwedeln. Danach rutscht ihr Körper wie tot in Zeitlupe mit dem Kopf vo- ran den schwarzen Berg hinab, wie später noch einige andere Tänzer, was Assoziatio­nen an den Holocaust weckt. Leichtigke­it, Heiterkeit und Farben gibt es kaum in diesem schwarz-weißen Vorhof zur Hölle.

Trotz aller erschrecke­nden Szenarien fehlt dem Stück jedoch die emotionale Qualität, die Pina Bauschs Arbeiten so besonders machte. Man beobachtet gespannt dieses überborden­de Treiben, aberes berührt einen nicht. Vielleicht bleibt das Stück zu äußerlich, zu bebildernd, wo Pina Bausch mit menschenfr­eundlichem Blick Beziehunge­n sezierte und analysiert­e.

Trotzdem bietet es viele Schauwerte, samt Tanz ums goldene Kalb, Madonna mit Strahlenkr­anz und der Fahrt in einer Arche. Die Tänzer versuchen, auf einem umgedrehte­n Tisch über Papprollen zu rudern. Die Frauen sind schlauer, sie setzen das „Boot“mit dem Schwung ihrer Hüften in Bewegung. Doch Rettung gibt es nicht: Die letzten Stühle sammelt ein Tänzer ein und kappt so den Fluchtweg.

In dem Stück wird viel gespielt, und wenig getanzt, mit kleinen Reminiszen­zen auch

an Pina Bausch

die nächsten Aufführung­en sind 15., 16., 18., 19. und 20. Mai; Karten unter kulturkart­e-wuppertal.de

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FOTO: JULIAN MOMMERT Szene aus „Seit sie“des Tanztheate­rs Wuppertal.

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