Irgendwas war immer
Seit Beginn ihrer Amtszeit stand Christina Schulze Föcking im Kreuzfeuer der Kritik. Die Bilder von verletzten Tieren vom heimischen Hof drängten sie früh in die Defensive. Daraus konnte sich die 41-Jährige nicht mehr befreien.
DÜSSELDORF Um zehn Uhr eröffnet CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen gestern Morgen die Fraktionssitzung. Er bittet seine Parteifreunde, „ausnahmsweise“mal die volle Aufmerksamkeit nicht den Mobiltelefonen, sondern dem Geschehen im Saal zu widmen. Es gebe „wichtige Neuigkeiten“, sagt er. Christina Schulze-Föcking soll dann in der Fraktion unter Tränen ihren Rücktritt als nordrhein-westfälische Umweltministerin angekündigt haben. Den Schritt begründet sie mit Anfeindungen und Drohungen gegen sie und ihre Familie im Internet. Als sie das sagt, soll Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, der als einer ihrer größten Förderer gilt und sie ins Amt gehoben hat, demonstrativ in ein Gespräch mit der parteilosen Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen vertieft gewesen sein. Teilnehmer der Sitzung berichten, Laumann sei „extrem verärgert“gewesen mit einer „auffallend roten Gesichtsfarbe“. NRWMinisterpräsident Armin Laschet (CDU) spricht sein Bedauern aus – auch über die persönlichen Anfeindungen gegen seine Umweltministerin. Danach steht die Fraktion auf und applaudiert, während Schulze Föcking in Tränen erstickt.
Nicht einmal ein Jahr ist es her, dass die 41-Jährige von ihrer Fraktion gefeiert worden ist – und nicht nur von ihr. Vereidigt als neue Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz gilt sie als die Senkrechtstarterin im neuen Kabinett. Die Mutter zweier Söhne aus dem Kreis Steinfurt gehört zu den neuen starken Frauen im Land. Viel Zeit, sich darüber zu freuen und sich in ihrer neuen Rolle zurechtzufinden, bekommt sie nicht. Kaum im Amt, sieht sich die staatlich geprüfte Landwirtin bereits massiven Anfeindungen im Internet ausgesetzt. Sie wird in sozialen Netzwerken bedroht und beleidigt. Auslöser sind heimlich gedrehte Aufnahmen von Tierschutzaktivisten im Mastbetrieb der Familie Schulze Föcking, auf denen verletzte Schweine zu sehen sind. Gezeigt werden die Bilder bei „Stern TV“.
Die unerfahrene Ministerin gerät in Erklärungsnot und unter Beschuss. Verstöße gegen die Tierhaltung werden ihr und ihrer Familie vorgeworfen. Die Opposition schießt sich auf sie ein. Tierschützer gehen auf die Straße, protestieren und fordern den Rücktritt der neuen Ministerin. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Es kann jedoch kein Verdacht für eine Straftat nach dem Tierschutzgesetz festgestellt werden. Nach Angaben der Münsteraner Staatsanwaltschaft belegen Verträge, dass die Ministerin zum Zeitpunkt der Aufnahmen nicht für die Tierhaltung verantwortlich gewesen ist. Die Ermittlungen werden zwar eingestellt, die Kritik an der Ministerin verebbt aber nicht. Sie bleibt in der Defensive. Statt zu agieren, reagiert sie fortan – ändern wird sich daran nichts mehr.
Die Situation lässt die ehrgeizige Christdemokratin nicht unberührt. So oft sie kann, flüchtet sie aus Düsseldorf – so wirkt es zumindest. Weg vom Landtag. Weg von der Opposition. Und weg von den bohrenden Fragen der Journalisten. Sie nimmt auffallend viele Termine außerhalb der Landeshauptstadt wahr. In Köln eröffnet sie zum Beispiel die größte Messe der Ernährungswirtschaft und Nahrungsmittelindustrie, in Olsberg ein Holzhaus, in Lünen die Spargelsaison. Sie verliert sich im Banalen. Politisch Initiative ergreift sie nicht – oder nur kaum. Auf die Frage nach ihren bisherigen Erfolgen kann selbst Laschet vor wenigen Wochen lediglich auf die große Akzeptanz verweisen, die sie angeblich genießt. Man könnte noch ergänzen, dass sie damit angefangen hat, das rot-grüne Jagdgesetz rückabzuwickeln. Selbst ihre Parteifreunde halten das für zu wenig. Zum Vergleich: Auf ihren Amtsvorgänger Johannes Remmel (Grünen) gingen Initiativen zurück wie das Arznei- mittelgesetz mit Regelungen zum Antibiotikaeinsatz bei Nutztieren, das Katzenabschussverbot, eine Bundesinitiative zur Düngemittelverordnung, der ökologische Abfallwirtschaftsplan, der massive Ausbau der Windenergie, die Legionellenverordnung, die Biodiversitätsstrategie, der Ausbau der Förderung der Kraftwärmekopplung, die Strategie „nachhaltige Nutztierhaltung“und die Verkleinerung des Tagebaus Garzweiler.
Obwohl Schulze Föcking nicht viel vorzuweisen hat, wird es zunächst ruhiger um ihre Person. Doch dann löst sie im Frühjahr die „Stabsstelle Umweltkriminalität“auf und verstrickt sich aus Sicht der Opposition in Widersprüche über die Bedeutung der in ihrem Haus angesiedelten Abteilung und ihre Beweggründe für das Aus. Niemand interessiert es zu diesem Zeitpunkt, dass auch die SPDVorgängerregierung die Stabsstelle massiv kritisiert hat. SPD und Grüne wittern nun ihre Chance, die Ministerin zu stürzen. Sie drohen mit einem Untersuchungsausschuss, beschließen ihn letztlich aber nicht – noch nicht. Erst der vermeintliche Hackerangriff im März auf das Netzwerk der Familie Schulze Föcking auf dem heimischen Hof bringt das Fass zum Überlaufen. Obwohl die 41-Jährige längst Bescheid weiß, dass es sich nicht um einen Hackerangriff gehandelt hat, nimmt sie noch Ende April schweigend im Landtag Solidaritätsbezeugungen der anderen Fraktionen entgegen. Ein Kommunikationsfehler, räumt Schulze Föcking Ende vergangener Woche kleinlaut im Umweltausschuss ein. Doch dafür ist es zu spät. Die Opposition fühlt sich getäuscht und will nun den Untersuchungsausschuss. Zu viel für die Ministerin. Am Montag informiert sie den Ministerpräsidenten über ihren Rücktritt als Umweltministerin in einem Vier-Augen-Gespräch am Rande eines Festaktes in der Staatskanzlei zum 70jährigen Bestehen Israels.
Ihren Rücktritt erklärt sie gestern um 10.30 Uhr im Düsseldorfer Landtag. Die Presse wird über den Termin erst eine halbe Stunde vorher informiert. Sie will nicht, dass man sie fotografiert. Als sie den Landtag verlässt, dreht sie ihren Kopf beiseite und hält ihre Hand schützend vors Gesicht, als ein Fotograf auf sie zukommt. Sie steigt in eine schwarze Limousine, die direkt vor dem Gebäude auf sie wartet. Dann ist das Kapitel Umweltministerin Christina Schulze Föcking beendet.
Nicht einmal ein Jahr ist es her, dass die Mutter zweier Söhne von
ihrer Fraktion gefeiert worden ist