Trump und Kim – ein Missverständnis
WASHINGTON Letztlich ist es eine Lektion in Sachen Realpolitik für Donald Trump. Auf den letzten Metern vor seinem historischen Gipfel mit Kim Jong Un hat er lernen müssen, dass sich manche Konstanten nicht so schnell ändern, auch wenn er in dem für ihn so typischen Superlativ das Gegenteil verspricht.
Trump hat die nunmehr geplatzte Begegnung als eine Art Geniestreich verkauft, bei dem ihm gelingen werde, woran sich drei seiner Vorgänger im Oval Office, von Bill Clinton über George W. Bush bis hin zu Barack Obama, die Zähne ausgebissen hatten. Er, der selbst ernannte Meister des Verhandlungspokers, wollte als derjenige US-Präsident in die Annalen eingehen, der das nordkoreanische Atomprogramm begraben würde – mit Willensstärke und Geschick, schon bald dafür gewürdigt mit dem Friedensnobelpreis. Als sich abzeichnete, dass die Realität nicht Schritt hielt mit den Vorschusslorbeeren, hat er kalte Füße bekommen.
Um die Absage zu begründen, führte er die aggressive Rhetorik nordkoreanischer Politiker ins Feld, Wortmeldungen der letzten Tage, die „offene Feindschaft“erkennen ließen. Angesichts dessen sei es „nicht angemessen“, am ursprünglichen Plan festzuhalten. Zum Wohle beider Seiten, aber zum Nachteil der Welt, schrieb Trump, werde der Gipfel in Singapur nicht wie angekündigt am 12. Juni stattfinden. „Sie sprechen von nuklearen Fähigkeiten“, fügte er hinzu, „aber unsere sind so massiv und mächtig, dass ich zu Gott bete, dass sie niemals eingesetzt werden müssen“. Es ist ein Satz, der an Tweets aus der heißen Phase des verbalen Schlagabtauschs mit Kim denken lässt. Damals hatte der Amerikaner damit geprahlt, dass er, verglichen mit dem „kleinen Raketenmann“, den sehr viel größeren Atomknopf besitze. Der Präsident, kritisiert Bill Nelson, ein demokratischer Senator aus Florida, habe sich nicht gründlich genug vorbereitet auf Gespräche mit einem totalitären Diktator wie Kim Jong Un. Daher nun der Verzicht.
Tatsächlich war nie zu übersehen, welch tiefer Graben zwischen den Interessen der Amerikaner und denen der Nordkoreaner klafft. Spricht Trump von der Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel, meint er die Verschrottung sämtlicher Atomwaffen in den Arsenalen Pjöngjangs. Spricht Kim davon, meint er, dass die USA im Gegenzug den atomaren Schutzschirm für ihre ostasiatischen Verbündeten einklappen. Vorerst ist der Brückenbau über den Graben gescheitert, und wie lange es bis zum nächsten Anlauf dauert, wagt im Moment niemand zu prophezeien.