Sigmar Polkes geniale Schnappschüsse
Der Sohn des Künstlers hat eine Kiste mit Fotografien entdeckt – und zeigt sie erstmals in Leverkusen.
LEVERKUSEN Ob in der Künstlerkommune Gaspelshof in Willich, in der Wohnung an der Düsseldorfer Kirchfeldstraße oder auf Reisen – Sigmar Polke hatte seine Kamera stets griffbereit. Er fotografierte damit nicht nur selbst, sondern ließ den Fotoapparat auch kreisen. Jeder durfte mal auf den Auslöser drücken und das Charisma des Künstlers bezeugen: Alle Menschen ringsum sind fröhlich, flirten – oder sie sind in Arbeit vertieft oder zugedröhnt.
Sigmar Polke (1941-2010) gilt neben Gerhard Richter als einer der Giganten der deutschen Nachkriegskunst. Vor zwei Jahren entdeckte sein Sohn Georg daheim eine Kiste mit 1000 jener Fotografien aus den 70ern und vom Anfang der 80er Jahre, die den Vater so privat erscheinen lassen und von denen rund 500 jetzt im Leverkusener Museum Morsbroich zwei Etagen füllen. „Das ist eher Gala oder Bunte“, erklärt Georg Polke. Doch man sollte die Fotos nicht unterschätzen, denn sie gründen sich auf zahlrei- che Kunstgriffe, mit denen Polke Weltruhm erlangte. Die Kunsthalle Düsseldorf, der Polkes Sohn die Ausstellung ebenfalls angeboten hatte, lehnte seinen Worten zufolge ab mit der Begründung „keine Zeit“.
Dabei hätte dieser Ort dicht an vielen Schauplätzen der Fotografien gelegen: der Ratinger Straße mit ihren Punks zum Beispiel oder Polkes Wohnung, in der er sich in der Badewanne hat ablichten lassen.
Wichtiger als die Motive erscheint aus heutiger Sicht die Art und Weise, wie Polke sie teils schon bei der Aufnahme, teils erst im Labor verfremdet hat. Er fotografierte anarchisch: unscharf, überbelichtet, mit alberner Themenwahl. Im Labor legte er dann nach, indem er Figuren im Entwicklungsbad untergehen ließ oder in ein Raster fasste. „Typisch Polke“möchte man da ausrufen, doch das Material diente ihm lediglich als Weg zu größeren Arbeiten.
Bettler und Obdachlose in Köln, manipulierte Wahlkampfplakate 1972 in Köln und Bonn, feuchtigkeits- und temperaturempfindliche Werke für die Biennale Venedig von 1986 – das sind Motive dieser Aus- stellung. Meist bleibt offen, welche Eingriffe Wirklichkeit waren und welche Polke erst in seinem Labor vornahm. Das Labor war sein Pinsel, so formuliert es sein Sohn. Hier und da ist er als Kind im Bild zu sehen.
Georg Polke hat die Ausstellung, wie er sagt, auch deshalb gern nach Leverkusen gegeben, weil sie dort ein Museum in schwierigen Verhältnissen stützt. Bald nachdem der Museumsverein Anfang des Jahres Spar- und zugleich Erweiterungspläne vorgestellt hatte, verkündete Direktor Markus Heinzelmann überraschend seinen Abschied – und erholte sich von den vorangegangenen Querelen mit der Stadt Leverkusen, wie man hört, erst einmal in Italien. Während Heinzelmann noch beratend tätig ist, führt Kurator Fritz Emslander jetzt das Haus kommissarisch, allerdings wohl nicht in der Absicht, später offiziell die Leitung zu übernehmen. Es wären also zwei Stellen neu zu besetzen: die des Direktors und die eines Event- und Liegenschaftsmanagers, wie sie im Zukunftskonzept vorgesehen ist.
Ob die Stadt Leverkusen das will, darüber wird sie bald entscheiden müssen.
Ausstellung vom 27. Mai bis zum 2. September.; Di.-So. 11-17 Uhr; Eintritt am 3.6. frei, sonst 5,50 Euro, erm. 4 Euro