Der Mann mit dem Zahnpastalächeln
KIEW Pep Guardiola gilt als bester Trainer der Welt. An Jürgen Klopp aber beißt sich der Katalane immer wieder die Zähne aus: Von 14 direkten Duellen gewann Klopp acht – zuletzt im Viertelfinale der diesjährigen Champions-League mit dem FC Liverpool gegen Guardiolas Machester City. Der 50-jährige Klopp ließ dabei einmal mehr jenen leidenschaftlich-aggressiven und zugleich hochgradig effizienten Konter-Fußball spielen, mit dem seine Mannschaften seit Jahren immer wieder ihre Gegner überrollen.
Mancher wirft dem gebürtigen Schwaben deshalb fehlende taktische Finesse vor, eindimensional sei seine Idee von Fußball. Doch der taktisch zweifellos gewieftere Pep Guardiola wurde mit City „nur“nationaler Meister, Klopp aber steht heute in Kiew gegen Real Madrid im Endspiel der europäischen Königsklasse.
Klopp ist nicht der beste Trainer der Welt, aber wohl der mitreißendste und am innigsten geliebte. Von englischen Fußball-Größen wird er mit Lob überschüttet. „Dieser Trainer bringt die Fans zum Flie- gen, er lässt sie vor Freude übersprudeln“, sagt etwa Liverpool-Legende Steven Gerrard. So war es zu Beginn seiner Trainierkarriere in Mainz, so ist es aktuell in England. Unbegrenzte Zuneigung bekam und bekommt der Schwabe aber vor allem in Dortmund.
2008 übernimmt er dort das Amt von Thomas Doll, der trotz des Einzugs ins DFB-Pokalfinale gehen muss. Es ist der siebte Trainerwechsel in acht Jahren beim BVB. Das Endspiel in Berlin verliert die DollMannschaft knapp mit 1:2 nach Verlängerung gegen den FC Bayern. Anschließend, noch im Olympiastadion, wird bekannt, dass Dortmund für die neue Saison „diesen Jürgen Klopp“holt. Jenen Jürgen Klopp, der Mainz 05 erst in die Bundesliga führte, mit ihnen wieder abstieg, dann den erneuten Wiederaufstieg knapp verpasste – und deshalb ging, unter Tränen und gefeiert von den Fans.
Als Dortmund 2011 Deutscher Meister wird, steht Klopp auf der Ladefläche eines Lkw und brüllt mit kaum noch vorhandener Stimme verliebte Worte auf seine Mannschaft und den Verein ins Mikrofon.
Steven Gerrard Ein Jahr später wiederholt der BVB den Bundesliga-Triumph und holt obendrein den DFB-Pokal. 2013 führt Klopp den BVB endgültig zurück in Europas Fußball-Elite, verpasst aber die absolute Krönung, als sein Team im Champions-LeagueFinale den Bayern mit 1:2 unterliegt.
In dieser Zeit lebt Klopp den BVB, in dieser Zeit ist Klopp der BVB. Seine Kappe mit dem Schriftzug „Pöhler“, die er an der Seitenlinie trägt, landet im Fanshop. Ein karierter Schal, den er an einem frischen Abend beim Europapokalspiel gegen Sevilla trägt, wird zum Verkaufsschlager. Der Slogan „Echte Liebe“entsteht, und wer Klopp erlebt, der sieht in ihm die Verkörperung dieses Spruchs. Er wird Werbestar, Medien-Darling – und vor allem von den Fans geliebt.
Nur zwei Jahre später, im April 2015, stehen BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Jürgen Klopp in Dortmund vor der Presse. „Wir haben die gemeinsame Entscheidung getroffen, dass der Weg, den wir mit unglaublichem Erfolg gegangen sind, nach dieser Saison zu Ende ist.“Als Watzke diesen Satz spricht, schluckt er einmal, zweimal, wischt sich mit der Hand durchs Gesicht.
Der BVB steht in der Saison zu Beginn der Rückrunde auf Platz 18, in der Champions League scheidet man sang- und klanglos im Achtelfinale aus. Das System Klopp, sportlich bestehend aus Gegenpressing und Umschaltspiel, menschlich aus flotten Sprüchen und klaren Ansagen, scheint entzaubert. Nur sagen oder wahr haben will es im und rund um den Verein niemand. Also nimmt Klopp die Sache selbst in die Hand und verkündet seinen Rücktritt. „Mein Name ist in diesem Verein zu groß geworden. Der Verein verdient es, dass er sich nicht von Namen die eigene Zukunft verbauen lässt. Der Verein verdient es, vom richtigen Trainer trainiert zu werden“, sagt Klopp zum Abschied.
Diesen richtigen Trainer sucht der BVB bis heute: Der direkte Nachfolger Thomas Tuchel passte menschlich nicht, Peter Bosz schei- terte sportlich, und bei Peter Stöger wusste man nicht so recht, was man an ihm hat. Als Nächster darf sich nun Lucien Favre versuchen. Doch nicht nur mancher Fan träumte zwischenzeitlich davon, Klopp kehre auf die Dortmunder Bank zurück. Entsprechende Gespräche zwischen den Freunden Watzke und Klopp soll es gegeben haben, aber der Schwabe genießt seinen Job in Liverpool, wo Verein und Fans mindestens genauso emotional sind wie in der Bundesliga.
„Die Erinnerung wird immer bleiben“, sagte Klopp zum Abschied. Im Oktober 2015 übernahm er in Liverpool und führte den Klub noch in der ersten Saison ins Finale der Europa League, im Jahr darauf ins Pokalfinale und diese Spielzeit nun ins Champions-League-Finale. Dort steht Klopp als Erster von all denen, die den BVB seit 2013 verlassen haben: Mats Hummels, Robert Lewandowski, Ilkay Gündogan und Henrik Mkhitaryan – und auch Pep Guardiola muss zugucken.
Als das Halbfinal-Rückspiel beim AS Rom längst abgepfiffen ist und Liverpool im Finale steht, kommt Jürgen Klopp nochmal aus der Kabine zurück, stellt sich vor die Kurve der mitgereisten Liverpool-Fans und lässt sich feiern. In Dortmund freuen sie sich für ihn – und trauern doch den alten Zeiten hinterher.
„Dieser Trainer bringt die Fans zum Fliegen, er lässt sie vor Freude
übersprudeln“
Liverpool-Legende