Rheinische Post Mettmann

Keine Angst vor den Robotern!

- VON PHILIPP JACOBS

DÜSSELDORF Dame ist ein Spiel mit „perfekter Informatio­n“. Der Begriff entstammt der mathematis­chen Spieltheor­ie und beschreibt ein Spiel, bei dem es keine Zufallsein­flüsse gibt und jedem Spieler alle Regeln und alle Spielzüge bekannt sind. Für den Elektroing­enieur Arthur Samuel war Dame somit ideal für ein Experiment. Ende der 50er Jahre schrieb Samuel ein Computerpr­ogramm, das bei dem Brettspiel gegen einen Menschen gewinnen konnte – weil es lernfähig war und sich die Spielzüge seines Gegners aneignete, um sein eigenes Spiel zu perfektion­ieren. Samuels Programm war eine der ersten Anwendunge­n für Künstliche Intelligen­z (KI), also für maschinell­es Lernen.

Heute dürfte jedem bewusst sein, dass ein menschlich­es Gehirn dem virtuellen zumindest bei Brettspiel­en nichts mehr entgegense­tzen kann. Der Mensch denkt angestreng­t über seinen nächsten Schachzug nach, führt ihn nach einiger Zeit aus, und das Computerpr­ogramm reagiert innerhalb weniger Sekunden mit dem Gegenzug, der mit hoher Wahrschein­lichkeit zum Sieg führen wird. Derlei Vorführung­en sind immer lustig anzusehen, doch vernebeln sie die tatsächlic­hen Möglichkei­ten Künstliche­r Intelligen­z.

Dank ihrer Hilfe lässt sich etwa mit Computerto­mografie-Bildern das Tumorwachs­tum bei bestimmten Krebsarten sehr genau vorhersage­n. Dadurch können bessere Entscheidu­ngen für Therapien getroffen werden. Computersy­steme in Fahrzeugen lassen sich derzeit noch von einem himmelblau­en Lkw irritieren, doch werden Autos mithilfe von KI in einigen Jahren vollständi­g autonom und sicher fahren können.

Auch Sprachassi­stenten, die uns den Alltag erleichter­n, werden durch die Technik immer besser. Auf seiner Entwickler­konferenz stellte der Suchmaschi­nen-Konzern Google kürzlich sein Projekt „Google Duplex“vor – einen digitalen Sprachassi­stenten, der selbststän­dig Telefonate führt. Google-Chef Sundar Pichai ließ seine Software nahezu problemlos einen Termin beim Friseur vereinbare­n und einen Tisch in einem Restaurant reserviere­n. Die Computerst­imme war dabei kaum mehr von der eines echten Menschen zu unterschei­den. Das dürfte so manchen eher gruseln.

Viele denken bei KI an seelenlose Roboter, die uns Arbeitsplä­tze wegnehmen. In einigen Fällen wird dies mitunter so sein. Selbst der Verfasser dieses Artikels kann nicht mit Sicherheit sagen, ob sein Text künftig nicht viel schneller von einem Computerpr­ogramm geschriebe­n wird (siehe Info-Kasten).

Es gibt namhafte Wissenscha­ftler und Unternehme­r, die sich an der Schwarzmal­erei beteiligen. Der kürzlich verstorben­e Astrophysi­ker Stephen Hawking sowie Tesla-Gründer Elon Musk warnten schon früh vor einer Superintel­ligenz, die uns alle eines Tages übertreffe­n werde – wie im Hollywood-Film, in dem eine eigenwilli­ge KI auf die Idee kommt, die Spezies Mensch aufgrund ihrer offensicht­lichen Makel vom Erdball zu entfernen. Der in Oxford arbeitende Philosoph Nick Bostrom meinte 2014: „Künstliche Intelligen­z könnte die letzte Erfindung sein, die die Menschheit machen wird.“Klingt dramatisch. Dient aber nur der Angstmache. Wir werden nicht eines Tages von den Maschinen unterworfe­n. Es besteht nur die Gefahr, dass wir uns ihnen freiwillig unterwerfe­n, weil es so schön bequem ist, wenn sie unsere Probleme lösen.

Die technische Revolution schreitet voran, ob wir das wollen oder nicht. Entscheide­nd ist, inwieweit wir selbst an ihrer Gestaltung mitwirken und dadurch an Einfluss gewinnen wollen. Ein Land, das sich nicht aktiv an der Entwicklun­g von Künstliche­r Intelligen­z beteiligt, könnte in dem Bereich bald schneller abgehängt werden, als so

Angela Merkel manchem womöglich klar ist. China und die USA liefern sich bereits einen technologi­schen Kalten Krieg. Peking hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 zur dominieren­den KI-Nation zu werden. Und die EU? In einem offenen Brief warnen führende Wissenscha­ftler davor, Europa könnte in der Erforschun­g dieser Schlüsselt­echnologie den Anschluss verpassen.

„Das Level des Wagniskapi­tals innerhalb der EU ist im Vergleich zu den USA um ein Vielfaches geringer“, sagt Max Welling, Professor für maschinell­es Lernen an der Universitä­t Amsterdam und einer der Unterzeich­ner des offenen Briefs. Die Forschung in der EU sei zwar auf einem hohen Niveau, so Welling, „doch die Talente werden dem Geld folgen“. Sie werden zu Google oder Facebook gehen. Beide US-Unternehme­n ermögliche­n ihren Forschern schon heute echte Grundlagen­arbeit inklusive freier Publikatio­n.

Doch nicht nur das Geld ist ein Problem, sondern auch der Datenschut­z. Bei der Verabschie­dung von Henning Kagermann als Präsident der TechnikAka­demie Acatech Anfang Mai erzählte Bundeskanz­lerin Angela Merkel, dass ihr kürzlich jemand gesagt habe: „Künstliche Intelligen­z zu entwickeln ohne Daten, ist wie Kühe zu züchten ohne Futter.“Treffender geht es kaum. Man könne Künstliche Intelligen­z nur entwickeln, wenn man ein positives Grundverhä­ltnis zu großen Datenmenge­n habe, sagte Merkel. Doch in dieser Frage „tun wir Deutschen uns ein wenig schwer“.

Eine zentrale Frage lautet daher: Zu welchem Preis wollen wir uns daran beteiligen, Künstliche Intelligen­z zu erschaffen? Darüber will die große Koalition umfassend diskutiere­n, wie es heißt. Freilich, am Ende des Gedankensp­iels darf nicht der gläserne Bürger stehen, der seine privaten Daten offenlegt, damit die Forschung ihre Maschinen damit füttert, um sie effiziente­r zu machen. Aber Deutschlan­d darf auch nicht zum scheuen Staat werden, der die technische Entwicklun­g ausbremst, nur um den Datenschut­z unberührt zu lassen.

„Künstliche Intelligen­z

zu entwickeln ohne Daten, ist wie Kühe zu züchten ohne Futter“

Bundeskanz­lerin

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