Rheinische Post Mettmann

Irlands stille Revolution

- VON CHRISTOPH MEYER UND DENISE STERNBERG

Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit sprechen sich die Iren für eine Lockerung der restriktiv­en Abtreibung­sregeln aus.

DUBLIN (dpa) Sie sangen, jubelten und tanzten: Tausende Menschen haben am Wochenende in Irland den Sieg des Ja-Lagers im Referendum um eine Lockerung des Abtreibung­sverbots gefeiert. Mit einer unerwartet deutlichen Mehrheit von 66,4 Prozent hatten sich die Wähler für eine Streichung des achten Verfassung­szusatzes ausgesproc­hen, der Abtreibung­en bislang faktisch unmöglich macht. Für das stark katholisch geprägte Land ist das eine Zeitenwend­e, die jedoch nicht ganz überrasche­nd kommt: Irland hatte schon im Mai 2015 als erstes Land der Welt per Volksentsc­heid die Homo-Ehe zugelassen.

Abgestimmt wurde über die Streichung eines Verfassung­szusatzes von 1983, der das Lebensrech­t ungeborene­r Kinder dem ihrer Mütter gleichstel­lt. Wer gegen das Abtreibung­sverbot verstößt, kann derzeit noch mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft werden. Selbst nach einer Vergewalti­gung, Inzest oder bei einem kranken Fötus ist in Irland ein Schwangers­chaftsabbr­uch untersagt. Tausende Frauen reisen deshalb jährlich nach Großbritan­nien und in andere Länder, um Abtreibung­en vornehmen zu lassen.

Bereits in der kommenden Woche soll das irische Kabinett über einen Gesetzentw­urf beraten, der Schwangers­chaftsabbr­üche künftig bis zur zwölften Woche erlaubt, bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter auch darüber hinaus. Bis Ende des Jahres soll das Gesetz dann vom Parlament verabschie­det werden. „Eine stille Revolution hat stattgefun­den, ein großartige­r Akt von Demokratie“, twitterte der irische Premiermin­ister Leo Varadkar. Die Bürger hätten deutlich gemacht, „dass sie eine moderne Verfassung für ein modernes Land wollen“. Die Abstimmung zeige, dass die Menschen in Irland den betroffene­n Frauen trauen und sie in ihrer Entscheidu­ngsfreihei­t respektier­en, sagte Varadkar dem TV-Sender RTE.

Opposition­sführer Micheal Martin von der Partei Fianna Fáil sprach vom „Anbruch einer neuen Zeit“. Seine Partei werde sich dem Willen des Volkes nicht entgegenst­ellen, sagte Martin. Anders als er hatte eine Mehrheit der Fianna-Fáil-Abgeordnet­en für ein Nein bei der Volksabsti­mmung geworben.

Die Gegner einer Gesetzeslo­ckerung bedauerten den Ausgang des Referendum­s. Als eine „Tragödie historisch­en Ausmaßes“bezeichnet­e die Gruppe „Save the 8th“das Ergebnis. „Unrecht wird nicht deshalb zu Recht, nur weil eine Mehrheit es unterstütz­t“, teilte die Gruppe mit. Man werde jegliche Gesetze ableh- nen, die zuließen, „dass Babys in unserem Land getötet werden“. Cora Sherlock von der Gruppe „Love Both“sagte: „Ich denke, es ist ein sehr trauriger Tag für Irland.“

Der katholisch­e Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin, der zu einem Nein aufgerufen hatte, klagte angesichts des Ausgangs über eine zunehmende Gleichgült­igkeit gegenüber der Kirche in Irland und rief zur Erneuerung auf. Die Kirche lasse in den Augen vieler Menschen Mitgefühl vermissen, sie müsse sich daher auf ihre Wurzeln besinnen, sagte Martin dem Sender RTE. Auch der Vatikan bedauerte den Ausgang des Referendum­s. „Ich glaube, da gibt es keinen Sieg zu verkünden und nichts zu feiern“, sagte der Präsident der Päpstliche­n Akademie für das Leben, Erzbischof Vincenzo Paglia.

An der Volksabsti­mmung hatten etwa 2,1 Millionen Menschen teilgenomm­en, das entspricht einer Wahlbeteil­igung von 64,1 Prozent. Mehr als 100.000 Iren, die im Ausland leben, waren für die Abstimmung in ihre Heimat gekommen. Das Referendum hatte am Freitag stattgefun­den, ausgezählt wurde am Samstag. Der UN-Menschenre­chtsaussch­uss hatte das Abtreibung­sverbot 2016 als Verstoß gegen internatio­nale Menschenre­chtsverein­barungen kritisiert und die irische Regierung aufgeforde­rt, es zu überarbeit­en.

Vor dem Referendum hatte es eine erbitterte Debatte gegeben. Doch nur in einem der 40 Wahlbezirk­e, Donegal, votierte eine Mehrheit für den Erhalt des Status quo. In der Hauptstadt Dublin hingegen gab es Zustimmung­swerte von weit über 70 Prozent. Wachgerütt­elt hatte die Iren der Tod der jungen Zahnärztin Savita Halappanav­ar aus Indien im Jahr 2012. Der 31 Jahre alten Schwangere­n war eine Abtreibung in einem irischen Krankenhau­s verweigert worden, obwohl ihr Baby nach Komplikati­onen in der 17. Schwangers­chaftswoch­e keine Überlebens­chance hatte. Sie starb, wenige Tage nachdem sie ein totes Kind zur Welt gebracht hatte, an einer Blutvergif­tung. Ihr Porträt wurde zum Gesicht der Ja-Kampagne.

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FOTO: DPA Vier Befürworte­rinnen einer Verfassung­sänderung, die eine Lockerung des Abtreibung­srechts möglich machen soll, feiern in Dublin das Ergebnis der Volksabsti­mmung. Das „Yes“-Lager gewann mit großem Vorsprung.

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