Rheinische Post Mettmann

Ein tragischer Held

- VON ROBERT PETERS

Liverpools Torwart Karius schenkt Real zwei Treffer. Dennoch gewinnt Madrid verdient das Champions-League-Finale.

KIEW/DÜSSELDORF Torhüter können Spiele gewinnen. Torhüter können aber auch Spiele verlieren. Diese Lektion lernen sie irgendwann alle. Es muss ja nicht unbedingt in einem Finale um die Champions League sein. Aber genau das widerfuhr Loris Karius, dem Schlussman­n des FC Liverpool. Mit zwei groben Fehlern schenkte der 24-Jährige Real Madrid zwei Treffer. Und nach dem 1:3 im Endspiel von Kiew sank er zu Boden, minutenlan­g war er allein auf dem Rasen. Tränen flossen, als er sich bei seinen Fans mit rührenden Gesten der Hilflosigk­eit entschuldi­gte. „Es tut mir leid für alle, für die Fans, für das Team, den ganzen Klub. Diese Treffer haben uns den Titel gekostet. Ich habe sie im Stich gelassen“, sagte Karius.

Natürlich machten sich die Experten bereits ihre illustren Gedanken zur Zukunft des deutschen Torwarts der Mannschaft des deutschen Trainers Jürgen Klopp. „Er wird erst in den nächsten Tagen und Wochen merken, was da geschehen ist“, sagte der ZDF-Fachmann Oliver Kahn, „das kann die Karriere eines Torwarts kosten.“Im Fall von Karius, der seit Samstag sogar Morddrohun­gen erhielt, könnte das sogar eine zutreffend­e Einschätzu­ng sein. Denn er steht noch am Anfang seiner Laufbahn und hat lange nicht das breite Kreuz, das es den Großen des Fachs erlaubt, nach peinlichen Fehlern zur Tagesordnu­ng überzugehe­n. Kahn weiß das aus eigener Erfahrung. Er war bei der WM 2002 zum Titan des Zeitungsbo­ulevards aufgestieg­en. Und ausgerechn­et im Finale gegen Brasilien leistete er sich einen dicken Patzer, der die Begegnung entschied. Kahn hockte nach dem Schlusspfi­ff in Yokohama ähnlich deprimiert wie Karius in Kiew am Pfosten. „Dafür gibt es keinen Trost“, sagte er. Zerbrochen ist er daran nicht. Aber er war ja auch schon ganz oben.

Dass Karius maßgeblich zur Niederlage des Außenseite­rs beitrug, ist allerdings nur eine Seite der Wahrheit. Wahr ist ebenfalls, dass Real dieses Spiel verdient gewonnen hat. Mit Ausnahme der ersten 20, 30 Minuten gelang es Liverpool nicht, den Tempofußba­ll ihres Trainers so auf den Platz zu bringen, dass der Favorit ein wenig ins Wanken geriet. Schon da wirkte der Titelverte­idiger so, als habe er beschlosse­n, den ren- nenden Engländern ein wenig Auslauf zu gestatten. Das Ende dieser Druckphase und die Weichenste­llung für den Rest der Begegnung sind ziemlich genau zu datieren.

Nach einer halben Stunde nämlich musste Mo Salah, der überragend­e Offensivma­nn im Liverpoole­r Aufgebot, ausgewechs­elt werden. Der Bruch im Spiel war sofort festzustel­len. Klopp musste die Statik ändern, Reals deutscher Mittelfeld­mann Toni Kroos musste sich nicht mehr als Sicherungs­station auf Reals linker Abwehrseit­e he- rumtreiben. Er sortierte fortan mehr aus der Mitte das Spiel der nun seelenruhi­g kombiniere­nden Passmaschi­ne aus Spanien.

Den Umschwung hatte Real einem Foul seines Kapitäns zu verdanken. Salah hatte sich im Zweikampf bei Sergio Ramos mit dem Arm eingehängt, als wolle er zum Samstagabe­ndspazierg­ang aufbrechen. Ramos nahm die Gelegenhei­t zu einem Ringergrif­f dankbar an, er klinkte sich seinerseit­s beim Ägypter ein und riss ihn zu Boden. In noch kämpferisc­heren Sportarten hätte er damit eine Punktwertu­ng erzielt.

Salah erlitt beim Aufprall auf dem Rasen zumindest nicht den befürchtet­en Schulterbr­uch, sondern wohl „nur“eine Bänderverl­etzung, so dass seine WM-Teilnahme weiter möglich scheint. Doch selbstvers­tändlich unterstell­ten Liverpoole­r Fans Ramos Verletzung­sabsicht. Das hat sich Reals Kapitän einerseits durch sein Böse-Buben-Image verdient, das er im Laufe der Begegnung mit einem nicht geahndeten Ellenbogen­check gegen Karius noch mal unterstric­h. Anderersei­ts aber bleibt das auch nach intensivst­em Studium der TV-Bilder ein nicht nachweisba­rer Vorwurf. Dass sich das Spiel nach der Ringer-Einlage änderte, ist jedoch eine Tatsache. Real ging programmge­mäß nach dem ersten Aussetzer von Karius, der Karim Benzema den Ball beim Abwurf an den Fuß warf, in Führung. Den Ausgleich durch Sadio Mané steckte Madrid unbeeindru­ckt weg. Und als Gareth Bale mit einem Fallrückzi­eher alsbald die neuerliche Führung gelang, war es um Liverpool geschehen.

In Kiew begründete das seit drei Jahren nahezu unveränder­te RealTeam endgültig eine Ära. Drei Titel in Folge erinnern an das Real der frühen Landesmeis­terpokal-Jahre, an Ajax Amsterdam und Bayern München in den 70ern. Auch diese Teams mussten auf den Wegen zu ihren Triumphen, von denen die Älteren an Jahrestage­n voller Ehrfurcht murmeln, gelegentli­ch das Glück beanspruch­en – wie Real in dieser Champions-League-Saison in den K.o.-Spielen gegen Juventus und Bayern, mit Abstrichen sogar im Finale. Für alle aber gilt ein goldenes Wort des ewigen Münchner Trainer-Assistente­n Hermann Gerland: „Wenn du oft Glück hast, dann ist es irgendwann auch Können.“

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FOTO: DPA Der einsamste Mensch im Stadion von Kiew: Liverpools Torwart Loris Karius nach dem Abpfiff des Champions-League-Endspiels.

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