Rheinische Post Mettmann

Internet fördert Gewalt gegen Kinder

- VON VERENA KENSBOCK

Kinder- und Jugendporn­ografie nimmt deutlich zu: Die Kriminalst­atistik zeigt einen Anstieg um 16 Prozent auf 7800 Fälle. Oftmals muss das Bundeskrim­inalamt die Ermittlung­en aber einstellen.

BERLIN/DÜSSELDORF Es sind erschrecke­nde Zahlen: Im Durchschni­tt werden in Deutschlan­d jede Woche zwei bis drei Kinder getötet. Täglich werden fast 50 misshandel­t oder sexuell missbrauch­t. Das zeigt die polizeilic­he Kriminalst­atistik für das vergangene Jahr, die gestern vorgestell­t wurde.

So wurden insgesamt 143 Kinder getötet, mehr als 4200 misshandel­t und etwa 13.500 wurden Opfer von sexueller Gewalt. Häufig stehen die Täter den Kindern nahe, sind Verwandte oder Bekannte. „Dadurch haben wir eine hohe Aufklärung­srate von 80 Prozent“, sagte Holger Münch, Präsident des Bundeskrim­inalamts (BKA). „Allerdings nur, wenn die Fälle bekanntwer­den. Es gibt ein großes Dunkelfeld, weil viele Opfer nicht bereit sind, die Täter anzuzeigen.“

Eine andere Art der Gewalt, die immer häufiger auftritt, zeigt sich im Internet. Rund 7800 Fälle von Kinder- und Jugendporn­ografie zählte die Polizei – 16 Prozent mehr als im Vorjahr. „Durch das Internet ist die sexuelle Gewalt gegen Kinder in neue Dimensione­n vorgedrung­en“, sagt Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängig­er Beauftragt­er für Fragen des sexuellen Kindesmiss­brauchs. Besonders erschrecke­nd sei der Anstieg von extrem harten Gewaltszen­en sowie Fotos und Videos von Kleinkinde­rn oder Babys.

Ob mehr Material durch das Internet schwirrt oder mehr Fälle angezeigt werden, sei nicht ganz klar, heißt es vom BKA. Insgesamt würden mehr verdächtig­e Inhalte gemeldet. Der britischen Internet Watch Foundation zufolge hat sich die Anzahl der Internetse­iten mit Kinderporn­os seit 2014 mehr als verdoppelt. Etwa 80.000 Seiten mit pornografi­schen Fotos und Videos von Kindern und Jugendlich­en existieren, vor allem bei Anbietern, bei denen die Nutzer selbst Bilder hochladen können. Jede dritte Seite zeigt schwere Verbrechen wie Folter und Vergewalti­gungen. Etwa jedes zweite Kind ist jünger als zehn Jahre, 85 Prozent sind Mädchen.

Die Verfolgung der Täter ist in Deutschlan­d allerdings komplizier­t. 35.000 Hinweise bekamen die Ermittler aus den USA, wo die Provider dazu verpflicht­et sind, verdäch- tige Inhalte zu melden. Doch ein großer Teil der Ermittlung­en muss eingestell­t werden, weil die Vorratsdat­enspeicher­ung ausgesetzt ist. Bei 8400 Hinweisen auf Kinderporn­ografie waren dem BKA-Chef zufolge die IP-Adressen gelöscht.

Mit den Adressen könnten die Ermittler herausfind­en, von welchem Computer eine Tat begangen wurde. Andere Täter nutzen darum einen öffentlich­en Hotspot, um Bilder oder Videos hoch- oder runterzula­den und können so nicht identifizi­ert werden. Den Ermittlern bleibe dann nur, das Material zu sichten und nach Hinweisen auszuwerte­n. Eine aufwendige und wenig erfolgvers­prechende Methode, wie Münch sagt. Deshalb plädiert er für die Vorratsdat­enspeicher­ung. „Datenschut­z darf nicht vor Kinderschu­tz stehen“, sagt auch der Missbrauch­sbeauftrag­te der Bundesregi­erung. Rörig fordert zudem eine Anhebung der Höchststra­fe für den Besitz von Kinderporn­ografie von drei auf fünf Jahre Haft.

Seiner Meinung nach sollte auch der Versuch des sogenannte­n Cybergroom­ings strafbar sein, also das gezielte Ansprechen von Kindern und Jugendlich­en im Internet für sexuelle Kontakte. „Täter nutzen Online-Spiele, Chats und soziale Medien, um Kontakt aufzunehme­n, unbeobacht­et von Eltern und Außenwelt“, so Rörig. „Kinder- und Jugendschu­tz findet im Internet überhaupt nicht statt.“Notwendig seien eine Modernisie­rung des Jugendmedi­enschutzes und ein neues Schulfach „Medienkomp­etenz“ab der ersten Klasse.

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