Conte gibt sich milde
Der neue italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte versucht in seiner Regierungserklärung den Spagat zwischen Gut und Böse.
ROM Sprach da etwa das milde Gesicht des italienischen Populismus? Den staatstragenden Auftritt hat Italiens neuer Ministerpräsident Giuseppe Conte jedenfalls bereits drauf. Gestern hielt der politisch völlig unerfahrene Juraprofessor seine erste Regierungserklärung im italienischen Senat und schlug dabei gleich einige berühmte Redner der Republik. 71 Minuten dauerte sein mit politischen Versprechungen vollgestopfter Vortrag im Senat. So lange hatten nicht einmal begnadete Redner wie einst die Ex-Premiers Matteo Renzi oder Giulio Andreotti bei der gleichen Gelegenheit gesprochen. Am Abend sprach der Senat der neuen Regierung das Vertrauen aus, heute stimmt das Abgeordnetenhaus ab.
Der bemerkenswerteste Satz des 53-Jährigen lautete: „Ich bin mir meiner Grenzen bewusst.“Normalerweise sitzt der Ministerpräsident zwischen Außen- und Innenminister auf der Regierungsbank. Conte las seine Rede im Stehen ab, eingekeilt zwischen den Mehrheitsaktionären der Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega. Links von ihm saß ein zufrieden wirkender Luigi Di Maio, Chef der Fünf-Sterne-Bewegung und Minister für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung. Rechts Innenminister Matteo Salvini, der am Wochenende mit drastischen Äußerungen zur Ausländerpolitik von sich Reden gemacht hatte. Tunesien exportiere Gauner nach Italien, lautete seine meist zitierte Stellungnahme.
„Die erste Sorge der Regierung werden die sozialen Rechte sein“, behauptete der der Fünf-Sterne-Bewegung nahestehende Ministerpräsident und nannte die bereits im Koalitionsvertrag zwischen den beiden Regierungspartnern festgehaltenen Maßnahmen. Dazu zählen die Einführung eines Mindestlohns, eines Grundgehalts für Arbeitslose sowie eine Reform der Pensionen. Über die Finanzierung dieser Maßnahmen sagte Conte: „Wir wollen das öffentliche Defizit reduzieren, aber nicht durch Austeritätspolitik, sondern mithilfe des Wachstums.“Das italienische Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im Jahr 2018 bislang um 1,5 Prozent, das Staatsdefizit beträgt rund 132 Prozent des BIP. „Das öffentliche Defizit ist absolut tragbar“, versicherte der Ministerpräsident.
Ziel seiner Regierung sei es, ein ebenso starkes Wachstum zu erreichen wie andere Länder in der Europäischen Union, allerdings unter Berücksichtigung „finanzieller Stabilität“und des „Vertrauens der Märkte“. Die Regierung plant zudem die Einführung niedriger, fester Steuersätze. Allerdings gibt es noch keine Einigkeit über den Beginn dieser Maßnahmen.
Wie Innenminister Salvini kündigte auch der Ministerpräsident zunächst eine harte Gangart gegen Ausländer an. „Wir werden dem Immigrations-Business ein Ende machen“, versprach der Jurist. Im Laufe seiner Ansprache gab Conte sich dann vorsichtiger. „Wir sind keine Rassisten und werden nie welche sein“, sagte er. Wer sich integriere und arbeiten wolle, sei willkommen. Flüchtlinge müssten gerechter auf die EU-Staaten verteilt, die Prozeduren zur Rückführung effektiver gestaltet werden. Der Premier wirkte wie einer, der guter und böser Polizist in ein und derselben Person sein will. Offenbar versucht er auf diese Weise die Herzen der Koalition auszutarieren, auf der einen Seite die eher links orientierte FünfSterne-Bewegung und auf der anderen die rechtsnationale Lega.
Bemerkenswert war sein Tribut an einen in Kalabrien ermordeten Gewerkschafter. Alle Fraktionen erhoben sich, um dem aus Mali stammenden Soumail Sacko die Ehre zu erweisen. Eine fremdenfeindliche Regierung stellt man sich anders vor. Oder ist der Juraprofessor nur das harmlose Gesicht einer Regierung der Volksverführer? „Wenn Populismus bedeutet, auf die Bedürfnisse des Volks zu hören, und wenn systemkritisch bedeutet, das System zu verändern, verdienen wir alle beide Bezeichnungen“, sagte Conte.