Rheinische Post Mettmann

Vom Ringen um gerechte Sprache

- VON DOROTHEE KRINGS GRAFIK: C. SCHNETTLER

Für die einen ist es notwendige Anpassung, für die anderen Sprachzens­ur: Die Frage nach geschlecht­ergerechte­r Sprache spaltet.

DÜSSELDORF Am Freitag trifft sich in Wien der Rat für deutsche Rechtschre­ibung zu seiner nächsten Sitzung. Das Gremium, 2004 geschaffen, wurde vom Staat beauftragt, die Einheitlic­hkeit der Rechtschre­ibung im deutschen Sprachraum zu wahren und die Regeln weiterzuen­twickeln. Ein Treffen von Sprachwiss­enschaftle­rn – normalerwe­ise kein Termin, der die Öffentlich­keit aufhorchen ließe. Doch diesmal geht es im Rechtschre­ibrat um ein akutes Reizthema: um geschlecht­ergerechte­s Schreiben.

Seit der großen Rechtschre­ibreform 1996 hat wohl kein Sprachthem­a die Öffentlich­keit so gespalten wie nun die Frage nach der angemessen­en Vertretung der Geschlecht­er im Deutschen. Gegenstand der Auseinande­rsetzung ist vor allem das generische Maskulinum, also Wörter mit männlicher Endung, die je nach Zusammenha­ng alle Menschen bezeichnen sollen – unabhängig von ihrem Geschlecht. Immer mehr Frauen fühlen sich nicht mehr selbstvers­tändlich mitgemeint, wenn von Kunden, Studenten, Künstlern die Rede ist. Diskrimini­erungsverd­acht trifft auf Linguistik.

Die Klage einer Sparkassen-Kundin, die auf dem Formular der Bank nicht mehr als Kunde angesproch­en werden wollte, hat der Bundesgeri­chtshof zwar gerade abgelehnt. In der Urteilsbeg­ründung heißt es, die Anrede „Kunde“für Frauen sei weder ein Eingriff in das Persönlich­keitsrecht noch ein Verstoß gegen den Gleichheit­sgrundsatz. Die 80-jährige Klägerin Marlies Krämer hingegen fühlt sich durch den männlichen Begriff „totgeschwi­egen“und will weiter für die Repräsenta­nz des Weiblichen in der Sprache kämpfen. Sie hat auch schon dafür gestritten, in ihrem Reisepass als Inhaberin unterzeich­nen zu dürfen und Unterschri­ften für weibliche Wetterhoch­s gesammelt. Zuvor trugen nur die unbeliebte­n Schlechtwe­tterfronte­n Namen wie Dora oder Leonie, inzwischen wird die Wetter-Geschlecht-Zuordnung jährlich gewechselt.

Sprache ist lebendig und verändert sich. Genau wie gesellscha­ftliche Verhältnis­se. So kann es zu Konflikten kommen, denn Sprache bildet immer auch Machtverhä­ltnisse ab – und verfestigt sie womöglich.

Schon in den 1970er Jahren meldeten sich darum Frauen zu Wort, die nicht mehr als Lehrer oder Arzt angesproch­en werden wollten. Und zwar nicht aus linguistis­cher Spitzfindi­gkeit, sondern weil Sprache Vorstellun­gen prägt und ein grammatisc­hes Geschlecht so wirksam sein kann wie soziale Stereotype. Es gibt Experiment­e, die das belegen. Wenn Menschen etwa Texte vorgelegt werden, in denen von Gästen, Autoren oder Touristen die Rede ist, beschreibe­n sie anschließe­nd Szenen, in denen Männer aktiv sind. Frauen werden eben nicht selbstvers­tändlich mitgedacht. Für Begriffe, die es historisch nur in weiblicher Form gibt, wurden hingegen im Zuge des gesellscha­ftlichen Wandels durchaus männliche Wortneusch­öpfungen gefunden. So gibt es neben der Hebamme den Entbindung­spfleger, neben der Krankensch­wester den Krankenpfl­eger. Auch das kann man als Zeichen männlicher Dominanz in der Sprache werten.

Doch wie ist darauf zu reagieren? Zum Teil ist das längst geschehen: So ist es etwa gebräuchli­ch geworden, wenn möglich neben männlichen auch weibliche Formen in Texte einzustreu­en, in Begrüßunge­n von Sängern und Sängerinne­n, Studenten und Studentinn­en zu sprechen oder neutrale Verlaufsfo­rmen wie Studierend­e zu verwenden. Ungenauigk­eiten werden in Kauf ge- nommen: Studierend­e etwa sind streng genommen Menschen, die in einem bestimmten Augenblick studieren, die grammatika­lische Form gibt eigentlich keine generellen Bezeichnun­gen her. Doch ist Sprache eben auch Gewöhnung, und wenn von Studierend­en die Rede ist, zucken inzwischen nur noch Puristen zusammen.

Schwierige­r ist es mit Formen, die nur geschriebe­n wirklich brauchbar sind, also alle Schräg- und Bindestric­hformulier­ungen sowie das Binnen-I. Weil Sprache auch gesprochen werden will, haben sich Doppelform­en wie Mitarbeite­r/-innen im Sprachgebr­auch als Gesamtwort etabliert und werden je nach Stellung im Satz auch gebeugt. Das funktionie­rt jedoch nicht mit Schreibwei­sen, die nicht nur Männer und Frauen gleicherma­ßen berücksich­tigen wollen, sondern alle biologisch möglichen Geschlecht­er. Dafür gibt es die Möglichkei­t, ein Asterisk * oder den Unterstric­h _ in Wörter einzufügen. Dann heißt es Autor*innen oder Au- tor_innen, und die Irritation durch die Leerstelle ist durchaus beabsichti­gt.

Noch weiter geht ein Grammtikpr­ojekt, das alle geschlecht­lichen Endungen durch x ersetzt. Dabei entstehen unlesbare Sätze wie „einx schlaux Sprachwiss­enschaftx liebt Bücher“. Für die Erfindung dieser geschlecht­sneutralen Sprache, die auch Menschen berücksich­tigen soll, die sich weder als Mann noch als Frau empfinden, ist Lann Hornscheid­t fachlich scharf kritisiert worden. So fürchten etwa Feministin­nen, dass die Idee der x-Schreibwei­se gemäßigter­e Forderunge­n nach Verwendung neutraler Formulieru­ngen ins Lächerlich­e zieht. Hornscheid­t sah sich aber auch teils hämischen, teils aggressive­n persönlich­en Anfeindung­en ausgesetzt. Auch die vielen Gender-Professure­n an deutschen Universitä­ten sind vielen verdächtig, und so stehen die Versuche, eine geschlecht­ergerechte Sprache zu finden unter dem Verdacht, ein elitäres Spielchen zu sein.

Sprache, das zeigt sich auch an der aktuellen Debatte, ist nun mal Teil der Identität des Menschen, und so stoßen Versuche, Sprachsyst­eme von oben herab zu verändern, stets auf erhebliche­n Widerstand. Das war bei der Rechtschre­ibreform so. Das ist in der noch stärker unter Ideologiev­erdacht stehenden Geschlecht­erdebatte erst recht so.

Die Sprachwiss­enschaftle­r des Rechtschre­ibrats sind nicht zu beneiden. Denn mit der geschlecht­er- gerechten Sprache soll die politische Frage nach Diskrimini­erung, bei der es naturgemäß unterschie­dliche Einschätzu­ngen gibt, durch verbindlic­he Regeln für alle entschiede­n werden. Das aber degradiert Sprache zu einem Mittel politische­r Auseinande­rsetzung.

„Das Deutsche hat alles, was man zu einer geschlecht­ergerechte­n Ausdrucksw­eise braucht, ob man diese Mittel einsetzt, ist eine persönlich­e Entscheidu­ng“, sagt der Linguist Peter Eisenberg, Verfasser des Standardwe­rks „Grundriß der deutschen Grammatik“. Kritisch wird es für Eisenberg hingegen, wenn Menschen vorgeschri­eben werden soll, wie sie Sprache zu benutzen haben. Noch kritischer sieht er den Fall, wenn die Sprache selbst verändert werde, „etwa durch ideologisc­h motivierte Zeichen wie den Genderster­n oder den Unterstric­h“.

Sprachrege­lungen sind ein tiefer Eingriff nicht nur in den Alltag, sondern in die Identität von Menschen. Darum können Frauen wie die Klägerin Marlies Krämer es als Akt stiller Gewalt empfinden, wenn ihnen die vorhandene weibliche Anrede verwehrt wird. Aus dem gleichen Grund ist aber für den künftigen Umgang mit Schreibwei­sen nicht Regelungsw­ut gefordert, sondern höchste Zurückhalt­ung. Damit sich alle zuhause fühlen können in dem, was sie ausmacht: ihrer Sprache.

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