Rheinische Post Mettmann

Die Deutschen sind Technik-Pragmatike­r

- VON RAINER KURLEMANN Abweichung­en von 100 Prozent sind auf Rundungsfe­hler zurückzufü­hren QUELLE: TECHNIKRAD­AR 2018 | FOTO: THINKSTOCK | GRAFIK: FERL

Eine Umfrage hat die Einstellun­g der Deutschen zu technische­n Neuerungen ermittelt. Roboter in der Pflege werden abgelehnt.

DÜSSELDORF Die Deutschen wollen das Steuer ihres Autos nicht dem Computer überlassen. Nicht einmal jeder Fünfte vertraut darauf, dass das vollautoma­tisierte Fahren zuverlässi­g funktionie­rt. Die Entwickler der selbststeu­ernden Fahrzeuge haben noch einen weiten Weg vor sich, bis ihre Technologi­e von der Bevölkerun­g angenommen wird. Bei einer repräsenta­tiven Umfrage der Deutschen Akademie der Technikwis­senschafte­n (Acatech) und der Körber-Stiftung lehnen es 64,8 Prozent der Befragten „voll ab“oder „eher ab“, die Verantwort­ung im Auto an vollautoma­tisierte Systeme abzugeben. Nur 16 Prozent antworten im Technik-Radar, sie wären dazu bereit. Nur jeder fünfte Deutsche glaubt, dass ein Computer besser fahren kann als er selbst. Aber mehr als 57 Prozent befürchten, dass sie nicht mehr so fahren können, wie sie möchten, wenn künstliche Intelligen­z das Auto steuert.

Diese Absage an den Computer als Fahrer darf nicht mit Technikfei­ndlichkeit verwechsel­t werden. Den Deutschen wird schon lange nachgesagt, sie seien gegenüber Technik negativ eingestell­t. „Diese Geschichte war eine Erfindung für einen Wahlkampf in den 1980er Jahren, und trotz vielfältig­er Widerlegun­g lebt sie fröhlich weiter“, erklärt Armin Grunwald, Präsidiums­mitglied der acatech und Professor am Institut für Technikfol­genabschät­zung des Karlsruher Instituts für Technologi­e (KIT). In Wirklichke­it sei die Einstellun­g der Deutschen zur Technik sehr pragmatisc­h.

Mehr als eine halbe Stunde Zeit haben sich die Befragten für das Technik-Radar genommen. Das Ergebnis liefert eine differenzi­erte Einstellun­g, die mit dem Zweck der Innovation­en zusammenhä­ngt. Je- Sehr riskant Eher riskant Ambivalent Eher nicht riskant Gar nicht riskant

Gezielte genetische Veränderun­g von Nutzpflanz­en zur Lebensmitt­elversorgu­ng

43,0

Einsatz von Robotern

33,7

23,2

Datenüberw­achung zum Erhalt der inneren Sicherheit

29,3

25,6

32,6

26,7

20,3

Digitalisi­erung der Wirtschaft zur Sicherung der internatio­nalen Wettbewerb­sfähigkeit

9,7

21,9

47,2

Zunehmende­r Einsatz erneuerbar­er Energien zur Bekämpfung der Klimaerwär­mung

6,3

21,3

23,4

Bevorzugun­g umweltvert­räglicher Verkehrsmi­ttel bei der Verkehrspl­anung

4,34,3

19,6

10,4

8,6 der zweite Deutsche sagt, dass die technische Entwicklun­g dazu führen wird, dass nachfolgen­de Generation­en eine höhere Lebensqual­ität haben. Für drei Viertel der Befragten ist es wichtig, dass Technik mit Gerechtigk­eit oder Umweltschu­tz im Einklang steht. Aber nur jeder Dritte glaubt daran, dass die Technik helfen wird, die zentralen Probleme der Menschheit zu lösen. 60 Prozent antworten, dass durch Technik auch mehr Zwänge auf den

21,2 Stimme voll und ganz zu Stimme eher zu Ambivalent Stimme gar nicht zu Stimme eher nicht zu

24,2 „Den technische­n Fortschrit­t kann niemand aufhalten.“ 1,2 1,5

7,9

24,5 Menschen wirken. Nur jeder Vierte ist der Ansicht, dass Technik mehr Probleme löst als sie schafft.

Viele Entwicklun­gen halten die Deutschen für sehr positiv: Den Einsatz von erneuerbar­en Energien, die Digitalisi­erung der Wirtschaft oder die Bevorzugun­g von umweltvert­räglichen Verkehrsmi­tteln bewerten mehr als 70 Prozent als „sehr nützlich“oder „eher nützlich“. Andere Technologi­en werden abgelehnt. Den Einsatz von Robotern in

54,9 „Die technische Entwicklun­g wird uns helfen, zentrale Probleme der Menschheit wie Hunger, Armut

oder Klimawande­l zu lösen.“

13,9

12,4

38,6

41,7

12,8

10,9

9,4

40,4

9,4

6,4

23,5

4,8

7,0

7,7

7,8 der Pflege oder die gezielte genetische Veränderun­g von Nutzpflanz­en zur Lebensmitt­elversorgu­ng befürworte­n nur weniger als ein Fünftel der Deutschen. Bei der Verwendung von künstliche­r Intelligen­z in der Medizin zur Auswertung von Datenbanke­n bei der Erstellung einer Diagnose halten sich Ablehnung (31 Prozent) und Zustimmung (36 Prozent) etwa die Waage.

Nicht nur die autonomen Fahrzeuge, auch eine andere Zukunfts- technologi­e stößt auf große Akzeptanzp­robleme: Smart Home – die Digitalisi­erung der Wohnung. Die Mehrheit der Deutschen will die technische­n Gerätschaf­ten in ihrer Wohnung oder in ihrem Haus nicht mit dem Internet verbinden und von außen steuern: 57 Prozent haben kein Interesse an Smart-HomeSystem­en. 34 Prozent haben sich noch nicht entschiede­n und antworten, dass sie die Technik „vielleicht“oder „höchstwahr­scheinlich“nutzen werden. Bei acht Prozent der Befragten ist sie bereits im Einsatz. Für das Interesse spielt das Alter eine große Rolle. Männer unter 35 Jahren liebäugeln besonders stark mit der Smart-Home-Technik, auch bei den Frauen dieser Altersklas­se überwiegt die Zustimmung.

Interessan­t ist, dass für den Kaufentsch­eid die einfache Bedienbark­eit oder der Preis in den Hintergrun­d treten. Die Verbrauche­r haben offenbar Angst vor Missbrauch. Zwei Drittel der Befragten befürchten, dass Internet-Kriminelle die Kontrolle über die Wohnung übernehmen könnten. Fast 90 Prozent nennen die Sicherheit des Systems und den Schutz der persönlich­en Daten als wichtigste Faktoren für den Kauf. Dieses Misstrauen gegen Sicherheit, Datenmanag­ement und Zuverlässi­gkeit der Technik schlägt auch beim vollautoma­tisierten Fahren durch. Knapp zwei Drittel der Befragten stört es, dass die Fahrzeuge ihre Daten sammeln. Noch mehr erwarten ein Verkehrsch­aos durch Computerpa­nnen.

Diese im Technik-Radar geäußerten Bedenken seien wichtige Botschafte­n für die Wirtschaft, sagte Ortwin Renn vom Institute for Advanced Sustainabi­lity Studies Potsdam (IASS) bei der Vorstellun­g der Studie. Die Technik erscheine für viele Menschen offenbar als unaufhalts­ame Naturgewal­t, der man aus- gesetzt sei. „Es wird darauf ankommen, die Kontrolle zurückzuge­winnen“, sagt Renn. „Wenn Menschen das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren, erzeugt das Widerstand.“

Noch eine andere Zahl ist bemerkensw­ert: Die Begeisteru­ng für Technik scheint bei Frauen und Männern unter 35 Jahren ähnlich groß zu sein. Jeweils knapp 30 Prozent der Befragten in dieser Altersgrup­pe sagen, dass sie es chic finden, die neuesten technische­n Geräte zu benutzen. Damit unterschei­det sich die junge Generation deutlich von den Vorgängern. Bei den über 65-Jährigen erfreuen sich 22 Prozent der Männer an neuen technische­n Geräten, aber nur drei Prozent der Frauen. Dieser Unterschie­d scheint zu verschwind­en: Bei vielen Fragen im Technik-Radar fallen die Antworten von jungen Frauen und Männern ähnlich aus. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob sich dieser Trend künftig auch in der Berufswahl der Mädchen spiegelt.

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