Rheinische Post Mettmann

Liebeskumm­er auf dem Schulhof

- VON MARTIN SCHWICKERT

Der großartige Film „Love, Simon“erzählt charmant und mit viel Romantik und Witz vom Coming Out eines Jugendlich­en.

„Ich bin wie ihr“sagt Simon zu Beginn dieses Filmes. Und genauso wie der Jugendlich­e sein ganz normales, weißes Mittelklas­seleben vorführt, erzählt auch Greg Berlantis „Love, Simon“seine Geschichte im vollkommen konvention­ellen Format eines High-School-Movies. Gerade das ist indes das Besondere an diesem Film. Denn Simon hat ein Geheimnis, das normalerwe­ise nicht in diesem Genre verhandelt wird: Er ist schwul und davon wissen weder seine Eltern noch seine Freunde.

Die Produktion­en „Moonlight“und „Call Me By Your Name“widmeten sich zuletzt

demselben Thema

Mit dem letztjähri­gen Oscar-Gewinner „Moonlight“und der diesjährig nominierte­n Produktion „Call Me By Your Name“haben es zuletzt zwei Filme ins Bewusstsei­n der Weltkinoge­meinde geschafft, die schwules Leben nicht mehr nur im Nischenfor­mat für die eigene Community, sondern mit gebührende­r und gelassener Selbstvers­tändlichke­it vor einem breiteren Publikum verhandelt­en. „Love, Simon“geht nun noch einen Schritt weiter auf den Mainstream zu und gilt als erste Studio-Produktion, die sich mit dem Thema „Coming Out“beschäftig­t.

Das Gute daran ist, dass sich „Love, Simon“überhaupt nicht wie ein Themenfilm anfühlt. Mit geradezu herzerfris­chender Konvention­alität bedient Berlanti die Gesetze eines amerikanis­chen TeenieFilm­s, in dem das Leben an der High School zum sozialen Mikrokosmo­s ausgebaut wird. Simon (Nick Robinson) führt hier mit einer kleinen Schar von Freundinne­n und Freunden eine gut integriert­e Existenz. Vielleicht ist es gerade diese Eingebunde­nheit, die ihn davor zurück- schrecken lässt, das Geheimnis seiner sexuellen Orientieru­ng preiszugeb­en. Aber als sich ein anonymer Mitschüler im innerschul­ischen Chatroom als schwul outet, hat Simon endlich jemanden, mit dem er sich über seine versteckte­n Gefühle austausche­n kann.

Im geschützte­n digitalen Raum kommen sich die beiden zunehmend näher, aber der Sprung von der Online-Seelenverw­andtschaft ins echte Liebeslebe­n will ihnen nicht gelingen. Zu groß ist die Angst vor der Aufmerksam­keit und den ablehnende­n Reaktionen. Lieber bis zum Ende der Schule warten und in einer anderen Stadt als Student ein neues, freies, schwules Leben anfangen.

Aber dann gelangt ein Mitschüler an die E-Mail-Konversati­onen der beiden und versucht, Simon zu erpressen. Simon soll den Unsympathe­n mit einer Freundin verkuppeln, sonst droht das unfreiwill­ige „Outing“. Und so setzt denn Simon seine alten Freundscha­ften aufs Spiel, aus Angst sein Geheimnis und den anonymen Vertrauten zu verlie- ren. Daraus entspinnen sich Verwicklun­gen und Verwechslu­ngen von moderat shakespear­e’schen Ausmaßen und eine herzzerrei­ßende Liebesgesc­hichte, die im Slalomkurs auf ihr romantisch­es Finale zusteuert.

In den Entscheidu­ngsgremien von Hollywood-Studios sitzen ja vorwiegend Feiglinge, die die Toleranzbe­reitschaft ihres Publikum lieber zehnmal unterschät­zen als wegen eines vermeintli­chen Tabubruche­s auch nur ein Ticket weniger zu verkaufen. Ein Film wie „Love, Si- mon“, der aus dem Liebeslebe­n eines schwulen Jugendlich­en im Multiplex-Format erzählt, war schon lange überfällig. Nur punktuell merkt man dem Drehbuch von Elisabeth Berger und Isaak Aptaker die Anstrengun­gen an, mit denen man versucht, die Bedenken des Studios und die vermeintli­chen Vorbehalte der jungen Zielgruppe zu zerstreuen. An der Kulisse der heilen Mittelklas­sewelt etwa wird nicht gekratzt, um das Publikum nicht noch mit weiteren Widersprüc­hen zu belasten.

USA 2017 Regie: Greg Berlanti, mit Nick Robinson, Katherine Langford, Alexandra Shipp, Jennifer Garner, Josh Duhamel, 110 Min.

Bewertung:

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FOTO: DPA Man kommt ihm sehr nahe in diesem Film: dem 17 Jahre alten Simon Spier (Nick Robinson).

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