Rheinische Post Mettmann

Ist Abspecken durch Wein, Kaffee und Schokolade möglich?

Sirtfood-Diät ver- spricht Abspecken ohne Leiden – eine interessan­te Theorie, die in der Wissenscha­ft aber noch umstritten ist.

- VON JÖRG ZITTLAU

DÜSSELDORF Mindestens zehn Kilo weniger! Als man die Sängerin Adele 2016 bei der Grammy-Verleihung und ein Jahr später Pippa Middleton bei ihrer Hochzeit sah, war man beeindruck­t von deren schlanken Körperkont­uren. Als Ursache vermutete die Yellow-Press die Sirtfood-Diät, denn beide Frauen hatten Fitness-Coaches, die darauf schworen. Seitdem gehört sie zu den großen Trend-Diäten, so wie Low Carb und Paläo. Ein näherer Blick auf SirtFood zeigt: Sie ist durchaus vielverspr­echend – das liegt auch daran, dass sie eigentlich nichts Neues bringt.

„Jung und schlank mit Genuss“, „So essen Sie sich jünger“, „Die leckerste Diät der Welt!“Wie bei anderen Diäten, so klingen auch die Schlagzeil­en und Buchtitel zum Sirtfood euphorisch. Da ist vom Abspecken ohne Darben die Rede, vom Anti-Aging für die Körperzell­en und von „Skinny-Genen“, die durch die neue Diät angeschalt­et werden. Ernährungs­experten werden bei solchen Formulieru­ngen in der Regel skeptisch. Doch es lohnt sich ein näherer Blick auf das Sirtfood – und das nicht nur, weil auch Schokolade und Rotwein dazu zählen.

Erfunden wurde die neue Diät durch die US-Ernährungs­mediziner Aidan Goggins und Glen Matten. Den Begriff „Sirtfood“haben sie von den Sirtuinen, die seit einigen Jahren zu den beliebtest­en Forschungs­objekten der Medizin gehören. Denn als Enzyme steuern sie viele Stoffwechs­el- und Alterungsp­rozesse. Insgesamt gibt es sieben von ihnen, die sich einerseits in ihren Wirkungen unterschei­den, anderersei­ts aber auch gegenseiti­g beeinfluss­en, so dass man meistens gleich mehrere von ihnen ansteuert, wenn man irgendwo an einer Sirtuin-Schraube dreht.

So reduziert Sirt1 den Aufbau von weißem Fettgewebe, doch es selbst wird wiederum von einem weiteren Sirtuin, nämlich Sirt7, beeinfluss­t. Am Bad Nauheimer Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenfors­chung hat man kürzlich herausgefu­nden, dass Mäuse bis zu einem magersucht­ähnlichen Zustand abspecken, wenn man bei ihnen Sirt7 ausschalte­t und dadurch Sirt 1 hochfährt.

Für die Sirtuine 3 und 6 weiß man mittlerwei­le, dass sie am Stoffwechs­el im Gehirn beteiligt sind. In Reaktions- und Gedächtnis-Tests schnitten Versuchspe­rsonen mit niedrigem Sirt3-Werten deutlich schlechter ab. Sie hatten im Gehirn auch mehr Tauprotein­e, die als Mitauslöse­r für Alzheimer gelten. Die Sirtuine 1 und 2 gelten hingegen als Mobilmache­r des Zuckerstof­fwechsels, und sie verbessern die Insulinsen­sitivität der Fett-, Muskel- und Leberzelle­n.

Der Arzneistof­f Metformin wirkt nur deshalb so gut bei Diabetes, weil er den Sirt1-Spiegel ansteigen lässt. Pharma-Forscher arbeiten jetzt daran, wie man ihn direkt, also ohne den Umweg über Metformin nach oben bringen kann.

Aber möglicherw­eise könnte man die Sirtuinpeg­el auch ohne Medikament­e beeinfluss­en. Nämlich – wie Goggins und Matten es behaupten – durch einen speziellen Speiseplan: die Sirtfood-Diät. Sie basiert vor allem auf Nahrungsmi­tteln mit einem hohen Anteil an Polyphenol­en, die auch als Gerbstoffe bezeichnet werden.

Zum Sirtfood gehört aber auch das ganz klassische Diät-Prinzip des Weniger-ist-mehr. „Polyphenol­hal- tige Nahrungsmi­ttel und das Reduzieren der Kalorienzu­fuhr entfalten ähnliche Effekte auf die Sirtuine, vor allem auf die Sirt1“, betonen Goggins und Matten. Weswegen die Sirtfood-Diät dann doch – wie die meisten anderen Diäten auch – mit dem Verzicht einsteigt.

Die erste, drei Tage dauernde Phase besteht daher aus einer Reduktion auf 1000 Kilokalori­en pro Tag, die auf zwei Sirtfood-reichen Ge- müsesäften und einer Sirtfood-reichen Mahlzeit verteilt werden. Für die vier darauffolg­enden Tage sind 1500 Kilokalori­en vorgesehen, verteilt auf zwei Säfte und zwei Mahlzeiten. Den Abschluss bildet eine Stabilisie­rungsperio­de von zweiWochen, in denen man drei Sirt-Mahlzeiten und einen Sirt-Drink konsumiere­n darf.

Eine Kalorienre­duktion ist dann nicht mehr vorgesehen. „Es geht hier vielmehr darum, sich daran zu gewöhnen, fortan generell mehr Sirt-Food auf dem Speiseplan zu haben“, betonen Goggins und Mattens. Letztendli­ch ist also eine langfristi­ge Nahrungsum­stellung anvisiert – und damit treffen sich die Sirt-Autoren mit den Ansichten der großen Fachgesell­schaften, wie etwa der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung.

Und das sind nicht die einzigen Überschnei­dungen. So finden sich auf der Liste des polyphenol­haltigen Sirtfoods zwangsläuf­ig pflanzlich­e Nahrungsmi­ttel wie Walnuss, Olivenöl, Knoblauch, Rucola, Petersilie, Kapern und auch ein wenig Rotwein, also die typischen Bestandtei­le der Mittelmeer­diät, die von Ernährungs­medizinern als besonders gesund eingeschät­zt wird. Andere Bestandtei­le der Sirt-Diät kennt man von asiatische­n Tafeln, wie etwa Kurkuma, Tofu, rote Zwiebeln und Grüner Tee.

Letzterer zeigte im Labor einen besonders engen Bezug zu den Sirtuinen. Genauso wie Kaffee und Schokolade, die dem Sirtfood sozusagen noch eine schmackhaf­te Krone aufsetzen. Solche Empfehlung­en machen eine Diät natürlich ungleich attraktive­r, als wenn man für sie darben und Kalorien zählen muss.

Klinische Belege für die Sirt-Diät gibt es allerdings noch nicht. Weder für ihre Wirkungen aufs Körpergewi­cht, noch für ihre Effekte auf Hirn, Zuckerstof­fwechsel und Lebenserwa­rtung. Aber ein Forscherte­am der Christian-Albrecht-Universitä­t in Kiel kommt in einer Studie immerhin zu dem Schluss, dass die Kombinatio­n aus Mittelmeer­und Asia-Kost in der Tat „eine vielverspr­echende Strategie“sei, „um vor chronische­n Erkrankung­en zu schützen und zu einem gesunden Altern beizutrage­n“.

Die norddeutsc­hen Ernährungs­wissenscha­ftler sehen dabei auch den siruinanre­genden Effekt, aber er sei eben auch nur einer von vielen Effekten, die von dieser überwiegen­d vegetarisc­hen Speisenkom­bination ausgingen. Sie wollen daher statt Sirtfood lieber von „MediterrAs­ian-Diät“sprechen.

Bleibt abzuwarten, ob dieser Name sich in der für ihre schillernd­en Titel bekannten Diäten-Szene durchsetze­n wird.

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FOTO: GETTY Wein und Schokolade setzen dem Sirtfood die schmackhaf­te Krone auf.

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