Rheinische Post Mettmann

Wein von der Insel

In der Champagne wird es langsam zu warm für die Trauben, die den weltberühm­ten Schaumwein ausmachen – darum schauen sich die Winzer jenseits des Ärmelkanal­s in Kent nach Feldern um.

- VON VERENA WOLFF

WESTERHAM (dpa) Mitten in den Flitterwoc­hen erreichte HenryWarde aus Westerham ein Anruf, der sein Leben verändern sollte. Am Telefon war sein Vater, Besitzer der Ländereien in der englischen Grafschaft Kent, die seit acht Generation­en in Familienbe­sitz sind. Und der hatte Besuch von einem Champagner-Produzente­n aus Frankreich, der Interesse am Land der Wardes hatte. „In der Champagne wird es langsam zu warm für die Trauben, die sie für ihr Produkt brauchen“, erzählt der 42-jährige Henry. Also schaut sich mancher Produzent jenseits des Ärmelkanal­s nach Land um.

„Die Erde hier ist ähnlich wie in Nordfrankr­eich, viel Kreide, die Wurzeln der Reben können tief in

„Wenn die Klimaerwär­mung so weitergeht, wird es noch mehr Wein aus England geben“

Henry Warde

Winzer

den Boden wachsen.“So wie an der Côte des Blancs in der Champagne. Und der Klimawande­l bringt wärmere Temperatur­en mit sich, so dass sich die Trauben auch im britischen Klima wohlfühlen. Land verkauften die Wardes dem Franzosen nicht. Aber Henry begann darüber nachzudenk­en, selbst Wein anzubauen. „2006 haben wir schließlic­h die ersten Reben gepflanzt, die wir in Deutschlan­d einkauften“, erzählt er. Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier: die Sorten, die man zur Herstellun­g von Champagner braucht.

Doch so darf sich nur der Schaumwein nennen, der aus der französisc­hen Champagne kommt. Also heißt das Produkt von Henry Warde schlicht SparklingW­ine, Schaumwein. In Weiß und in Rosé stellt er ihn her, nach der traditione­llen Methode der Franzosen, der Flaschengä­rung. Und obwohl der Squerryes Brut noch sehr frisch auf dem Markt ist, ist er schon eine Nummer auf der Karte der britischen Weinproduz­enten und hat verschiede­ne Preise gewonnen.

Doch Henry will nicht nur guten Wein machen – er hat auch die Sache mit dem Marketing verinnerli­cht. Schließlic­h besitzt er dieses große alte Haus, das wunderschö­n in einem parkähnlic­hen Garten liegt. Mit ein paar Zimmern voller Gemälde der Ahnen. Also öffnet er die Pforten und kredenzt neben dem eigenen Champagner imWohnzimm­er der Wardes auch Geschichte­n derVorfahr­en, die eine bewegteVer­gangenheit haben und deren Wahlspruch „Licet Esse Beatis“– „Erlaube dir, fröhlich zu sein“– seit mehr als 250 Jahren Bestand hat. Dieses Gesamtpake­t, Schaumwein plus Winzer plus Geschichte, das will Henry Warde in Zukunft verkaufen.

Damit hat er anderen Weingütern zumindest einiges voraus. Deren Besitzer haben zwar viel Geld in die Hand genommen und Ländereien gekauft, Reben gesetzt und machen nun ihre Weine, schäumend oder nicht – doch der Titel und die adeligen Ahnen fehlen weitgehend. Die Anzahl derWinzer ist übersichtl­ich, allerdings werden es langsam mehr, auch nördlich des 50. Breitengra­des. Dort wuchsen bis vor wenigen Jahren nämlich gar keine Reben.

Die Grafschaft Kent im Süden des Königreich­s ist vor allem als der „Obstgarten Englands“bekannt – oder für die Kreidefels­en von Dover und das altehrwürd­ige Canterbury. Äpfel und Birnen, Kirschen und Erdbeeren – das sind die Früchte, die das Land im Südosten Englands vor allem hervorbrac­hte. Zudem Felder, Wälder, Kühe und Schafe.„Das Obst wird durch die kühleren Temperatur­en später reif, dadurch bekommt es aber mehr Sonne mit und hat erstklassi­ge Aromen“, sagt Henry. Bei den Barnes ist bis heute alles über- sichtlich, auch wenn sie sich auf die Fahnen schreiben können, als Erste dasWagnisW­ein in England probiert zu haben – und damit Erfolg hatten. In ganz anderen Dimensione­n ist die Chapel Down Winery in Tenterden unterwegs: Hier werden pro Jahr mehr als 800.000 FlaschenWe­in produziert – weiß und rot, Schaumund Süßwein. Und der unvermeidl­iche Cider, denn auch hier waren die Apfelbäume zuerst da.

In Chapel Down ist alles von vorne bis hinten durchgepla­nt. Auf einer Tour kann man einige ausgewählt­e Felder besuchen und bekommt im Schnelldur­chgang eine Einführung in die Kunst der Weinproduk­tion. Die Tour endet im Shop, in dem ein Eckchen für eine schnelle Weinprobe vorgesehen ist. Echte Weinkenner befinden sich nur selten unter den Besuchern, es sind eher die, die eine Landpartie machen und hier die Produkte der Winery kennenlern­en. Und ihnen schmecken die heimischen Produkte – oder eben auch nicht.

Ähnlich ist es in Hush Heath Estate in Tonbridge: Hier hat Richard Balfour-Lynn schon 2001 die ersten Reben gepflanzt. Inzwischen gehört er zu den führenden Anbietern in Großbritan­nien – und exportiert jede Menge Schaumwein in die ganze Welt. Vor Ort können die Besucher durch die sanften grünen Weinhügel spazieren und sich dann einem Tutored Tasting unterziehe­n: Dabei gibt es nicht nur verschiede­ne Sorten zum Probieren, sondern auch jede Menge Informatio­n über Herstellun­g und Rebsorten.

Der Anbau der Reben, die Weinherste­llung und der Weintouris­mus – das alles geht in der Grafschaft Kent also Hand in Hand. Wer die Charaktere kennt, die in Franken, am Rhein und an der Mosel seit Jahrhunder­ten Wein herstellen, kommt sich dort mitunter vor wie in einer Mischung aus Öko-Tour und Disneyland.

Doch eines ist ziemlich sicher: „Wenn die Klimaerwär­mung so weitergeht, wie es derzeit aussieht, wird es künftig noch viel mehr Wein aus Großbritan­nien geben“, sagt Henry Warde. Und wer weiß – vielleicht müssen sich die britischen Winzer in naher Zukunft dann gar nicht mehr auf Schaum- und Weißweine konzentrie­ren. „Dann könnten sogar Rotweine hier funktionie­ren.“

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FOTO: DPA Außer mit Wein kann das Weingut Squerrys auch mit dem großen Haus punkten. Bei einem Glas Champagner im Wohnzimmer erzählt Besitzer Henry Warde aus der bewegten Vergangenh­eit.
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FOTO: DPA Weinlese in Chapel Down: Der Betrieb stellt diverse Weine her.

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